Bugatti Veyron: Traum oder Albtraum

Der Autokritiker

Jacob Jacobson

puristisch - kritisch - anregend

Bugatti Veyron: Traum oder Alptraum?

 

 

Extrabeilage der auto motor und sport 9/2015:

 

"Faszination Bugatti: 10 Jahre Veyron"

 

450 Exemplare wurden in 10 Jahren gebaut, aber jetzt ist Schluss. Die Produktion wird eingestellt. Ist der Markt gesättigt? Hat auch das teuerste und aufwändigste Spielzeug irgendwann seinen Reiz verloren? Wurden die Verluste trotz der Preise von über 1 Mio. € zu hoch? Hat Winterkorn den Saft abgedreht, weil er die Verluste leid war? Fiel es schwer, die letzten Exemplare an den Mann zu bringen? Warum wurde die glatte Zahl von 500 nicht erreicht? Es darf spekuliert werden.

 

Was haben Ferdinand Piëch und Ettore Bugatti gemeinsam? Beide sind Schöpfer außergewöhnlicher Automobile, so viel steht fest. Aber sind/waren auch beide geniale Techniker? Da scheiden sich die Geister.

 

"Wer Großes will, muss sich zusammenraffen; in der Beschränkung zeigt sich erst der Meister."

 

Treffender als mit diesem Zitat von Johann Wolfgang von Goethe kann man die Kunst von Ettore Bugatti nicht beschreiben. Er verstand es wie kein Zweiter, das Auto auf das Wesentliche zu reduzieren. Da ist nichts Überflüssiges dran. Deshalb wirken seine Kreationen auch so leicht. Aber sie wirken nicht nur leicht, sie sind es auch auf der Waage. Leicht, leistungsstark und zuverlässig - so eilten sie von Sieg zu Sieg. Sie gehören zu den begehrtesten Oldtimern der Welt, nicht nur wegen der Technik, sondern auch wegen ihrer zeitlosen Eleganz. Nicht umsonst stammte Ettore Bugatti aus einer Künstlerfamilie.

 

Ferdinand Piëchs Monsterstück, pardon, es muss natürlich heißen Meisterstück, ist unbestritten der Bugatti Veyron. Von Beschränkung kann definitiv keine Rede sein. 16 Zylinder in V-VR8-Anordnung (VW nennt es fälschlich W-Anordnung; warum eigentlich nicht gleich VW-Anordnung?), 8 Liter Hubraum, 4 Turbolader, 1.200 PS, Kohlefaserkarosserie, Vmax 415 km/h, 0-100 km/h in 2,6 Sekunden, Preis 2.011.100 Euro - das klingt eher nach Aufwand ohne Grenzen. Den Technikern, die es schafften dieses Monster auf die Straße zu stellen, gebührt höchste Anerkennung. Denn das Phantasiegebilde Ferdinand Piëchs zum Laufen zu bringen war ein hartes Stück Arbeit.

 

Der Motor: Das VR-Motorprinzip war schon als VR-6 im Golf höchst problematisch. Die verschachtelten Zylinder bereiteten von Anfang an thermische Probleme. Das sog. W-12-Prinzip, mit zwei in V-Form auf eine Kurbelwelle arbeitenden VR-6 Zylinderreihen, verschärfte die Schwierigkeiten nochmals deutlich. Aber die ultimative Herausforderung war dann das sog. W-16 Motor. Die starke Erwärmung bei Höchstleistung ist nur mit massiver Kraftstoffkühlung einigermaßen beherrschbar. Gut, dass die Höchstleistung von den Kunden nur höchst selten abgerufen wird. Und der Verbrauch spielt bei dieser Klientel ohnehin keine Rolle.

 

Die Karosserie: Sie besteht natürlich aus Kohlefaser. Warum sie allerdings rundliche Formen wie ein aufgeblähter VW-Käfer haben muss, das will einem Aerodynamiker nicht so recht einleuchten. Es dürfte sich doch auch bei VW herumgesprochen haben, dass ein Tragflügelprofil Auftrieb erzeugt. Und den kann man bei 400 km/h am allerwenigsten brauchen. Trotz der leichten Fahrgastzelle aus Carbonfaser wiegt der Veyron knapp 2 Tonnen.

 

Die Reifen: Will man schneller als 400 km/h fahren, muss man spezielle Reifen aufziehen, und sie nach kurzem Gebrauch wieder wegwerfen. Kein Wunder, bei diesem Gewicht.

 

Das Design: "Designchef Achim Anscheidt verpackt Bugatti-typisch hochklassige Technik in eine konsequent zurückhaltend aufgebaute Form" meint auto motor und sport. Schon klar, über Design kann man (nicht) streiten. Eines aber ist gewiss: Von der zeitlosen Eleganz eines Bugatti 57 C Atlantic ist das mit Testosteron aufgepumpte Äußere des Veyron um Lichtjahre entfernt. Da kann der Designer noch so geschwollen daherreden. (ams nennt das Geschwafel genauso hochtrabend "Abdriften ins Metaphysische".)

 

Der Fahrspaß: Wie definiert man Fahrspaß? Für die meisten Autofahrer und Journalisten ist es Rasen auf der Autobahn, was die Kiste hergibt. Zumindest gewinnt man diesen Eindruck, wenn man die Testberichte in den einschlägigen Autozeitschriften liest. Die Höchstgeschwindigkeit, wenn auch nur als Zahlenwert, spielt immer noch eine dominante Rolle. So wundert es nicht, dass bei dem Autotester die Freude, den Bugatti Veyron bewegen zu dürfen, den aufkommenden Neidfaktor übersteigt.

Es gibt aber immer noch ein Häuflein von automobilen Puristen, die für Fahrspaß keine 1000 PS benötigen, keine 410 km/h und keine Autobahn. Für die ist es das höchste der Gefühle, mit einer Lotus Elise auf einsamen, kurvenreichen Landstraßen ihr fahrdynamisches Können aufzufrischen.

 

Die Renntauglichkeit: Wie würde wohl ein Veyron bei einem Rennen auf der Nürburgring Nordschleife abschneiden? Oder bei einem 24-Stunden-Rennen? Würde er das Ziel überhaupt erreichen? Ein eigener Tanklaster und ein Anhänger voller Reifen wären Mindestvoraussetzungen.

 

Die Kosten: Ein Veyron kostete je nach Ausstattung zwischen einer und zwei Millionen Euro. Rechnet man einen geschätzten Mittelwert von 1,5 Mio. auf 450 Stück hoch, ergibt das die hübsche Summe von rund 700 Mio. Euro. Wie sieht es bei den Herstellkosten aus? Die Fabrik in Molsheim, die Entwicklung, die Fertigung der Einzelteile in prototypischen Stückzahlen und höchster Qualität, der Vertrieb, die höchst aufwendige Kundenbetreuung, das Vorhalten von Ersatzteilen - da läppert sich ganz schön etwas zusammen. Mit geschätzten 5 Mrd. Euro liegt man auf der sicheren Seite. VW müsste glatt das Siebenfache für einen Veyron verlangen. Finanziert wird das Piëchsche Denkmal durch das Heer der Käufer von Golf, Passat, Polo und Touran. Sie dürfen sich freuen, an diesem denkwürdigen Fahrzeug finanziell beteiligt gewesen zu sein.

 

Was bleibt: Der Veyron wird als Beispiel für das technisch Machbare in die Automobilgeschichte eingehen. Er zeigt was möglich ist, wenn man keinen noch so hohen Aufwand scheut. Wird der Veyron ein Meilenstein? Hoffentlich nicht, denn ein Meilenstein wäre nur ein Zwischenschritt zu etwas noch größerem und gewaltigerem. "Der nächste Bugatti muss die Performance des Veyron toppen", schreibt auto motor und sport. Das lässt Schlimmes befürchten. Hoffentlich drehen die Kaufleute den Geldhahn zu.

 

Bugatti vs. Piëch: Für dieses High-Tech-Monster den edlen Namen "Bugatti" zu missbrauchen, zeigt wieder einmal, wie sich der "Automanager des 20. Jahrhunderts" einschätzt. Es zeugt von fehlendem Respekt gegenüber einer automobilen Legende. So wie es auch bei Ferruccio Lamborghini und Walter Owen Bentley der Fall ist.

Ettore Bugatti hatte keinen riesigen Konzern im Rücken. Er verfügte nicht über unbegrenzte Mittel, sondern musste mit seinen Autos Geld verdienen, um die Firma über Wasser zu halten. Er konnte nicht nach Belieben Ingenieure, Manager und Designer austauschen, wenn sie mit seinen Vorgaben nicht zurechtkamen. Und er war Konstrukteur, Designer und Manager in Personalunion. Also das genaue Gegenteil von Ferdinand Piëch, so wie der Veyron das Gegenteil der Original-Bugattis darstellt. Gut, dass Ettore Bugatti diese Demütigung selbst nicht mehr erleben muss.

 

 

Jacob Jacobson 07.05.2015

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