Formel 1: Vom Rennzirkus zum Trauerspiel

Der Autokritiker

Jacob Jacobson

puristisch - kritisch - anregend

Formel 1: Vom Rennzirkus zum Trauerspiel

 

Der Formel 1 geht´s schlecht, nicht erst seit heute. Der Abstieg zieht sich schon eine Weile hin. Nur, so kritisch wie dieses Jahr war es noch nie. Wann werfen die privaten Rennställe das Handtuch? Hört vielleicht gar Red Bull auf? Wer füllt das Starterfeld, wenn plötzlich nur noch drei oder vier Wettbewerber übrigbleiben?

Würde man die Ursachen kennen, könnte man Abhilfe schaffen. Vielleicht kann der Auto-Kritiker den F1-Verantwortlichen etwas auf die Sprünge helfen.

 

Langweilige Rennen:

Von vielen Seiten hört man, die Rennen seien langweilig geworden. Diese Klagen hört man nun schon seit mehr als 40 Jahren, mal lauter, mal leiser. Was gab es früher nicht für langweilige Prozessionen. Die F1-Übertragung am Sonntagnachmittag konnte man meistens gut für ein Mittagsschläfchen nutzen, ohne viel am Renngeschehen zu versäumen. Hat es der F1 geschadet? Nein. Deshalb werden auch zukünftig alle Bestrebungen, die Spannung künstlich zu steigern, das Gegenteil bewirken.

 

Jean Todt:

Der Niedergang der F1 fällt zeitlich ziemlich genau mit der Regentschaft von "Napoleon" Jean Todt zusammen. Seine Herrschaftsinstrument ist der Kontrollwahnsinn. Das Reglement umfasst inzwischen die Ausmaße einer Gutenberg-Bibel. Vorgeschrieben sind Kraftstoffmenge, Kraftstoffdurchfluss, Drehzahl, Hubraum, Ansaugquerschnitt, Turbolader, Eigenschaften und Anwendung des Rekuperationssystems, Flügelverstellungen, usw. Wer interessiert sich denn für eine Technik, die in allen Fahrzeugen gleich ist?

 

Bernie Ecclestone:

Das Synonym für jemand, der den Kanal nicht vollkriegt, heißt: Bernie Ecclestone. Er holte die Hersteller in die F1, gegen den Rat vieler Sachkundiger. Er pfeift auf Tradition und vernachlässigt die Wurzeln des Sports, mit dem er sein Vermögen verdiente. Er siedelt F1 Rennen in Ländern an, die vom Rennsport keine Ahnung haben. Das mag eine gewisse Zeit gut gehen, nur sind die Leute in diesen Ländern sehr schnell begeistert, aber genauso schnell kühlen sie ab und wenden sich anderen Dingen zu. F1-Rennen vor Geisterkulissen, nicht gerade werbeträchtig. Die traditionellen europäischen Rennen müssen unbedingt stärker priorisiert werden.

 

Der Verteilungsschlüssel:

Bernie Ecclestone ist für die Verteilung der Gelder an die Teams verantwortlich. Der Verteilungsschlüssel begünstigt ausgerechnet diejenigen Teams, die ohnehin keine Geldsorgen zu haben scheinen. Die "armen" Teams gehen fast leer aus. Sie kommen mehr recht als schlecht über die Runden und fallen immer weiter zurück. Man könnte die Verteilung auch anders organisieren. So zum Beispiel:

 

 

Das Reglement:

Wie bereits erwähnt, ist alles bis ins kleinste Detail festgelegt. Unterschiede gibt es nur noch in winzigen Aerodynamik-Gimmicks, die die Entwickler meistens selbst nicht verstehen. Kaum findet jemand eine Lücke, die ihm einen kleinen Vorteil verschafft, schon hagelt es Proteste und der Trick wird verboten. Das zweite, vielleicht noch größere Problem sind die häufigen Änderungen des Reglements. Downsizing-Virus, Rekuperations-Fieber und Nachhaltigkeits-Wahnsinn haben die F1-Strategen voll erwischt. Jedes Jahr erfinden sie neue Mätzchen. Angeblich um der Welt zu beweisen, wie sehr sie sich um die Zukunft des Automobils sorgen.

 

Das Motorgeräusch:

Die aufgeladenen Sechszylindermotoren sind sehr leise im Vergleich zu den früheren hochdrehenden Saugmotoren. Nicht wenige empfinden das als Segen, aber einige glauben, dass es die Rennatmosphäre negativ beeinflusst. Da hätte man im Vorfeld gründlicher nachdenken müssen. Vielleicht sollte man es machen wie in der Formel E: Fehlendes Geräusch aus Motoren durch Lärm aus Lautsprechern ersetzen (Achtung Ironie).

 

Das Trainingsverbot:

Die Anzahl der Trainings-Sitzungen ist genau reglementiert. Angeblich aus Kostengründen. Wie aber sollen sich ehrgeizige Piloten, Rennställe und Motorenhersteller auf die Saison vorbereiten? Am Simulator? Durch die häufigen Änderungen steigt aber der Erprobungsbedarf. Die "reichen" Teams werden Mittel und Wege finden, ihre Technik zu testen: am Simulator, im Windkanal, durch Computersimulationen, oder auch bei geheimen Testfahrten mit Vorjahresmodellen oder Fahrzeugen anderer Rennserien. Also ein weiterer Punkt, der den Abstand zwischen den Teams vergrößert.

 

Die Rekuperationssysteme:

Viel Aufwand - wenig Nutzen. Der Energieumsatz ist, wen wundert´s, genauestens spezifiziert. Für den Zuschauer bringt es keinerlei nachvollziehbaren Effekt. ,Die Zahl der Überholvorgänge ist auch nicht wesentlich gestiegen.

 

Keine "Charaktertypen" mehr:

Rindt, Rosberg sen., Senna, Prost, Lauda, Mansell, Schumacher, Irvine - wer kennt sie nicht? Das waren noch echte Fahrerpersönlichkeiten und Identifikationsfiguren. Scannt man heute das Fahrerfeld der Formel 1 stellt man bestürzt fest: "Ich kenne ja fast niemand!" Und es lohnt sich auch nicht, die Neulinge kennenzulernen, denn die meisten sind im nächsten Jahr schon wieder weg von der Bildfläche. Wer will sich schon mit einem 17-jährigen identifizieren? Die rasche Rotation der Fahrer hat vier Gründe:

 

  1. Häufige Änderungen des Reglements: Bekanntlich fällt Neu-Lernen leichter als Um-Lernen. Vettel und Schuhmacher wissen Bescheid.
  2. Finanzielle Notlage vieler Teams: Viele Fahrer erkaufen sich ein Cockpit, etablierte Fahrer bekommen den Laufpass.
  3. Fehlende Trainingsmöglichkeiten: Die besten Fahrer verstehen es, ein Fahrzeug auf sich und ihren Fahrstil optimal abzustimmen. Dazu braucht es aber Zeit und Testmöglichkeiten.
  4. Telemetrie: Nicht der Fahrer bestimmt seine Rennstrategie, sondern die Leute an den Monitoren. Öde für den Zuschauer, wenn der Computer mehr Einfluss hat als der Mensch.

 

Einheitsreifen und Reifenwechsel:

Wie lange wollen die F1-Verantwortlichen noch an den 13"-Rädchen festhalten? 13", das vor 50 Jahren Standardgröße bei PKWs. Sportfahrzeuge fahren heute auf 20"-Felgen. Dass F1-Reifen keine Renndistanz überstehen können, gehört in das Reich der Märchen und Sagen. Solche Reifen sind ohne weiteres machbar, vorausgesetzt, das Reglement schreibt es vor. Oder jeder Reifenwechsel wird mit einer Standzeit von 30 Sekunden geahndet. Generell sollte jeder interessierte Hersteller Reifen liefern dürfen. Das würde die Entwicklung enorm befruchten.

 

Knöpfe und Schalter:

Man muss die F1-Fahrer bewundern, dass sie bei der Vielzahl der Knopfe und Rädchen am Lenkrad noch durchblicken. Nebenbei sollen sie auch noch Rennen fahren. Ein Fall für Multitasking-Genies. Stolz zeigt Nico Rosberg das Lenkrad seines Vaters im Vergleich zu seinem eigenen. Das Bild spricht für sich - und für die einfache Variante.

 

Die F1-Übertragung im Fernsehen:

Wer je Zugang zum Österreichischen Fernsehen hatte kennt ihn: Heinz Prüller. Zugegeben, er war schon sehr Niki Lauda fixiert. Aber mit seinen Kommentaren kann sich das Duo Vasser/Danner nicht messen. Die beiden haben ihr Verfallsdatum schon längst überschritten. (Über Kai Ebel breiten wir gnädig den Mantel des Schweigens.)

 

Safety Car Phasen:

Diese stören den Rennverlauf ungemein, manchmal beeinflussen sie auch das Ergebnis (Monaco 2015). Ursache sind meistens scharfkantige Carbonsplitter auf der Fahrbahn, resultierend aus Karambolagen. Es genügen schon kleine Rempler an Spoiler und Anbauteilen, und die Fetzen fliegen. Warum kann man die gefährdeten Anbauteile nicht aus zähem Aluminium herstellen? Dann müssten lediglich die Heißsporne an die Box, das Rennen aber könnte weiterlaufen.

 

Unfälle:

Häufig kommt es zu Karambolagen immer dann, wenn´s eng hergeht, z.B. in der Startphase. Ein Wunder, dass nicht noch mehr passiert, wenn man die Sitzposition der Fahrer betrachtet. Sie sehen fast nicht mehr auf die Straße. Was unmittelbar vor ihren Schnauzen passiert, kriegen sie erst mit wenn es kracht. Hier wäre ausnahmsweise eine Vorschrift angebracht, um den Fahrern etwas mehr Überblick zu verschaffen. Ansonsten könnte man gleich die Sicht nach vorne durch einen Bildschirm ersetzen.

 

Boxenfunk und Telemetrie:

Wer das spannend findet, wenn während des Rennens ein Dutzend Leute in abgedunkelten Räumen auf Monitore starren, hat ein ernsthaftes psychisches Problem. Und wie sie den Rennverlauf beeinflussen, durch Anweisungen an die Piloten oder durch direkte Eingriffe in die Elektroniken, mag man sich gar nicht vorstellen. Im Training ist das ja eine tolle Sache. Im Rennen gehört zumindest die Eingriffsmöglichkeit unterbunden. Der Pilot muss wieder auf sich gestellt sein. Damit sein taktisches Können und sein Rennwitz wieder mehr zur Geltung kommen.

 

Aus der Analyse ergeben sich Verbesserungsvorschläge:

  • Weg mit Boxenfunk und Telemetrie.
  • Weg mit den Knöpfchen und Schaltern.
  • Rigorose Vereinfachung des Reglements.
  • Förderung des Ingenieursgeistes.
  • Freigabe sämtlicher Motorgrößen.
  • Freigabe des Rekuperationssystems.
  • Freigabe von Reifendimension und Fabrikat.
  • Reifenwechsel mit Standzeit 30 Sekunden belegen.
  • Trainingsfreigabe.
  • Spoiler und Anbauteile aus zähem, nicht splitterndem Material.
  • Vermeidung von Safety Car-Phasen.
  • Weniger Spektakel, mehr Technik.
  • Neuer Verteilungsschlüssel.
  • Traditionelle Rennstrecken priorisieren.
  • Last not Least: Ein "frisches" Moderatorenteam.

 

Aussichten:

Alle Maßnahmen der Vergangenheit haben weder die Kosten eingedämmt noch die Attraktivität gesteigert. Allerdings, solange Jean Todt am Ruder ist, und das wird noch sehr, sehr lange der Fall sein, hofft man vergebens auf eine Lockerung der Vorschriften. Schade, denn die F1 ist schon lange nicht mehr technischer Vorreiter, sondern nur noch ein trauriges Imitat der Entwicklung von Serienfahrzeugen.

 

 

Jacob Jacobson 29.05.2015

Hier ist Platz für Ihre

 

  • Fragen

 

  • Meinungen

 

  • Kritiken

 

  • Anregungen

 

  • Korrekturen

 

  • Hinweise

 

  • ..........