Formel E: Autorennen oder Kirmesveranstaltung

Der Autokritiker

Jacob Jacobson

puristisch - kritisch - anregend

Formel E: Autorennen oder Kirmesveranstaltung?

 

 

Die Ausschreibung:

Die Formel E-Veranstalter machen´s richtig. Sie befassen sich erst gar nicht mit technischer Vielfalt. Es wäre auch zu viel verlangt, eine Rennserie zu definieren, an der sich die unterschiedlichsten Firmen und Fahrzeuge beteiligen können. Lieber stutzen sie die Rennserie von vorneherein auf einen Markenpokal zurecht. Genauso so wie sie es in der Formel 1 oder in der DTM bereits anstreben. Auch da hat man es beinahe geschafft, den Entwicklern jeglichen Handlungsspielraum zu nehmen. Einfalt statt Vielfalt! An dieser genialen Strategie erkennt man die Handschrift von "Napoleon" Jean Todt. Er überlässt nichts dem Zufall, nicht einmal das kleinste Elektron.

 

Die vielzitierte Umwelt:

Was haben er und seine Handlanger sich dabei gedacht? Hatten sie vielleicht die US-Amerikaner im Hinterkopf. Die strömen zu Hunderttausenden zu ihren Nudeltopf-Rennen, ohne eine Spur technischen Verständnisses. Oder setzen die Veranstalter auf den Faktor E, die Elektromobilität. Die finden ja alle sooo toll! Alle glauben an das Märchen vom Elektromobil als Allheilmittel gegen Umweltverschmutzung, Klimawandel und verstopfte Innenstädte. Autorennen zur Rettung der Umwelt - darauf muss man erst einmal kommen. Jean Todt und seine Leute können das.

 

Der erste Event:

Genug der Ironie und zurück auf den Boden der Tatsachen. Am 13. September 2014 war die Stunde der Wahrheit - die erste Veranstaltung ihrer Art. ams war in Peking dabei und berichtet ausführlich in Heft 21/2014.

Der Eindruck des Lesers: Es geht zu wie auf einer Kirmes, nur nicht so spannend. Oder wie selbst Jean Todt treffsicher bemerkte: "Als ich um acht Uhr an die Strecke kam, war es wie in einer Disco." Krächzende Stadionlausprecher verbreiten Autoscooter-Atmosphäre. Die Kids sind begeistert. Endlich eine Veranstaltung auf ihrem Niveau, dem Niveau von Computerspielen und Seifenkistenrennen, von Facebook und Twitter. Der Sieger (Name unerheblich) kann einem leidtun. Er muss sich den Sprudel selbst über die Kappe gießen. Wahrscheinlich untermalt von den Queen. Das ist nicht lustig!

 

Ein Markenpokal:

Dem Motorsportfan, dem echten, dem technisch interessierten, treibt es das Wasser in die Augen - vor Zorn und vor Langeweile.

Man muss sich vorstellen:

Am Start stehen 20 völlig identische Fahrzeuge, unterscheidbar nur durch die Lackierung. Sie stammen, wie auch Jean Todt, aus Frankreich (Renault). Wo die Einheitsreifen herkommen, ist nicht schwer zu erraten (Frankreich, Michelin). Mit den Windabweisern für die Reifen sehen sie aus, als hätten sie schon eine Feindberührung hinter sich.

 

Die Leistung:

Maximal 28 kWh an Energie dürfen im Rennen verbraucht werden. Recht viel mehr geben die Akkus nicht her. Zum Vergleich: Ein F1-Bolide bunkert 100 kg Treibstoff bzw. 1.200 kWh; das Rennen in Monaco geht über 70 Runden = 234 km; das ergibt 17 kWh/pro Runde. Mit Formel-E Energie schafft Nico Rosberg ganze 1,6 Runden bzw. 5,4 Kilometer.

Die Maximalleistung ist elektronisch auf 150 kW begrenzt. Vermutlich aus thermischen Gründen, um Motor, Akku und Elektronik nicht zu überhitzen. (Besitzer von Elektromodellfliegern wissen Bescheid.) Rein rechnerisch ergibt das eine Laufzeit unter Maximalleistung von 11 Minuten. In der Praxis erreichen die Fahrzeuge eine Laufzeit von 17 bis 18 Minuten. Eine akzeptable Gesamtrenndauer erreicht man durch zwei Pflicht-Boxenstopps incl. Fahrzeugtausch.

 

Die Spannung:

Niki Lauda bringt es auf den Punkt:

“Das war für mich die ödeste Geschichte, die ich seit Langem gesehen habe.”

Kein Wunder für jeden, der schon einmal ein Markenpokal-Rennen als Außenstehender verfolgt hat. Vor Langeweile scheint sich die Uhr rückwärts zu drehen. Jedes Kart-Rennen bietet mehr Rennsport-Atmosphäre. Jean Todt, den "genialen" Strategen, sollte man aufklären: Wer Discoatmosphäre will, geht in die Disco. Wer zum Rennen geht, will Rennatmosphäre.

 

Vergebene Chancen:

Aber die Langeweile ist noch nicht einmal das Schlimmste. Das Schlimmste sind die vergebenen Chancen. Warum hat man die Auslegung der Fahrzeuge nicht den Teilnehmern selbst überlassen? Würde es nicht reichen, die groben Abmessungen der Fahrzeuge und die Zeitdauer der Rennen vorzugeben? Auf dieser Plattform könnten die Hersteller von Elektrofahrzeugen, Batterien, Elektromotoren und Regelelektroniken ihr Potential unter Beweis stellen. Mögliche Teilnehmer: Tesla, BMW, Renault, Opel, Samsung, Siemens, Bosch, Panasonic, Google, Microsoft, Telecom usw. Der Wettbewerb um das beste Material würde der Serienentwicklung den nötigen Schub verleihen. Welches Unternehmen könnte es sich erlauben, abseits zu stehen? Zwar ist das noch keine Garantie für spannende Rennen, aber die wichtigste Voraussetzung für eine spannende Rennserie.

 

Fazit:

Egal ob Formel 1, DTM oder eben Formel E, überall das gleiche Trauerspiel. Früher war der Rennsport technologische Speerspitze und Vorreiter für die Serientechnik. Man konnte prototypisch Dinge ausprobieren und wieder verwerfen. Ingenieure durften ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Heute ist es umgekehrt. Die Rennsport-Verantwortlichen fragen sich, was wird in Serie produziert. Daraus leiten sie die Vorgaben für die Rennfahrzeuge ab. Rennfahrzeuge als Zerrbild der Serienproduktion. Erfindergeist, Ingenieurskunst - Fehlanzeige.

Sind Zuschauerschwund in Formel 1 und DTM ein Indiz für Überreglementierung? Jean Todt sieht das bestimmt anders. Er und seine willfährigen Helfershelfer sind kurz davor, der Formel 1 das letzte Quäntchen Individualität auszutreiben. In der Formel E erübrigt sich dieser Prozess. Hier haben die Gleichmacher von vornherein ganze Arbeit geleistet.

 

Jacob Jacobson 31.05.2015

Hier ist Platz für Ihre

 

  • Fragen

 

  • Meinungen

 

  • Kritiken

 

  • Anregungen

 

  • Korrekturen

 

  • Hinweise

 

  • ..........