Ist Porsche noch zu helfen?

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Der Autokritiker

Jacob Jacobson

puristisch - kritisch - anregend

Ist Porsche noch zu helfen?

 

Früher war mehr Porsche.

Wenn die Erinnerung nicht trügt, "war früher nicht nur mehr Lametta" am Weihnachtsbaum, sondern auch mehr Porsche im Straßenbild. Woran liegt das? Zum Teil sicherlich daran, dass einem die Erinnerung gerne einen Streich spielt. Oder vielleicht weil es damals nicht so viele Autos auf der Straße gab, da erregte ein Porsche natürlich mehr Aufmerksamkeit. Vielleicht spielt aber auch die mangelhafte Alltagstauglichkeit der heutigen 911er-Generation eine Rolle. Der 911er ist zu breit, zu prollig und zu teuer geworden, um noch als normales Gebrauchsfahrzeug in Frage zu kommen. Ein gut verdienender Normalbürger hegt andere Fahrzeugwünsche.

Porsche ist munter dabei, sich die Basis abzusäbeln. Ein entscheidender Schritt wurde soeben wieder vollzogen. Ein Schritt weg vom kompromisslosen Sportwagen hin zum Allerweltsfahrzeug - durch den Ersatz des klassischen Saugmotors im 911 Carrera durch einen downgesizeten Turbomotor.

 

Historische Probleme

Porsche-Ingenieure haben es wahrlich nicht leicht. Sie müssen sich mit zwei gewaltigen Problemen herumschlagen, zwei Problemen namens Ferdinand und Ferry Porsche. Ferdinand Porsche, der Gründer der Dr. Ing. h. c. F. Porsche GmbH, entwickelte für Hitler den sog. KdF-Wagen, den späteren VW-Käfer. Billig und reparaturfreundlich musste das Fahrzeug sein, das war die Vorgabe. Die Anordnung eines luftgekühlten Boxermotors im Fahrzeugheck hinter der Hinterachse erfüllte diese Anforderungen.

Nach dem zweiten Weltkrieg, im Jahre 1948 entwickelte sein Sohn Ferry Porsche einen Sportwagen, der Typ 356. Im Prinzip ein modifizierter VW-Käfer, der schon rein optisch seine Abstammung nicht verleugnen konnte. Der luftgekühlte Vierzylinder-Boxermotor wurde auffrisiert und brachte es bis zum Auslauf der Baureihe im Jahre 1968 auf stattliche 95 PS in der Serienversion.

Dann kann der 911er. Auch er behielt die typischen Käfer-Merkmale bei: Luftgekühlter Boxermotor hinter der Hinterachse angeordnet. Wesentliche Neuerung war die Ergänzung des Vierzylinders durch zwei Zylinder zum Sechszylinder-Boxermotor. Dieser Motor begründete im Wesentlichen den Nimbus des 911ers.

 

Das 911 Dilemma

Und genau hier liegt der Hund begraben. Denn obwohl dieses Konzept unbestritten viele Vorteile aufweist - niedriger Schwerpunkt, gute Traktion, phantastischer Motorlauf - beim Hubraum stößt es an seine Grenzen.

Also mussten sich die Porsche-Leute beim Carrera etwas einfallen lassen, um mit dem grassierenden Wachstums- und Leistungsfetischismus mithalten zu können. Sie bedienten sich bei ihrem eigenen Baukasten, dem 911 Turbo und schraubten ebenfalls zwei Abgasturbolader an den Motor. Den Motor reduzierten sie im Hubraum, um den Respektabstand zum 911 Turbo zu wahren.

 

Hat sich der Aufwand gelohnt?

Folgende Tabelle zeigt den Unterschied zwischen den Saugern und den Aufgeladenen in den technischen Daten.

 

 

Der Verbrauch

Hauptargument der Porsche-Ingenieure, und darauf sind sie besonders stolz, ist eine signifikante Verbrauchsreduzierung. In der Tat sinken sowohl der Testverbrauch als auch der NEFZ-Verbrauch im Stadtzyklus ganz erheblich. Dazu zwei Anmerkungen:

  1. Stellt der Verbrauch bei einem Sportfahrzeug dieses Kalibers wirklich die oberste Priorität dar?
  2. Hätte man den Verbrauch des Saugers nicht auch noch weiter reduzieren können?

Die Antwort zu Punkt 1. erübrigt sich. Zu Punkt 2. später mehr.

 

Leichtbau?

Leichtbau spielt im Sportwagenbau eine ganz wichtige Rolle. Beim Vergleich der Leergewichte registriert man eine Gewichtszunahme von 27 Kilogramm. Das ist eine Hausnummer wenn man bedenkt, welcher Aufwand betrieben wird, um auch nur wenige Kilogramm einzusparen. Zu allem Überfluss belasten sie auch noch die ohnehin schon überladene Hinterachse.

Porsche stemmt sich mit aller Macht gegen eine Verschlechterung der Straßenlage - mit breiteren Hinterreifen und einer Hinterachslenkung! Was auch beinahe gelingt, aber nur beinahe. Jedenfalls ist der Turbo dem Sauger im 18m-Slalom nur um 0,4 km/h unterlegen. Soviel zum Thema Fortschritt.

 

Leistung und Drehmoment

Nun zur Leistung. Aufgeladene Downsizing-Motoren zeichnen sich durch ein hohes Drehmoment bei niedrigen Drehzahlen aus. Das ermöglicht eine verbrauchsschonende Fahrweise. Die folgenden Diagramme zeigen den Vergleich der Leistungen und Drehmomente.

Der Unterschied im Drehmoment sieht dramatisch aus. Vergleicht man hingegen die Leistungen stellt man fest, eigentlich gibt der Sauger fast die gleiche Leistung ab, lediglich bei einer um ca. 1000 U/min höheren Drehzahl.

Das hätte man einfacher haben können, aber wie? Z.B. mit einem größeren Hubraum. Der aber leider, leider nicht Platz hat, s.o.

 

Leistung ≠ Fahrleistung

Noch ein Wort zu den Fahrleistungen. Natürlich verbessern sich die wichtigsten Werte für die anspruchsvolle Porsche-Klientel. Die Beschleunigung bis 100 km/h sinkt um 0,4 Sekunden, 200 km/h erreicht der aufgeladene sogar um 1,4 Sekunden früher. In der Endgeschwindigkeit schenken sie sich nichts. Dem Autokritiker stellen sich folgende Fragen:

 

  • Welchen Beitrag leisten dabei die schwerere Hinterachse und der breitere Reifen beim Losfahren aus dem Stand durch eine verbesserte Traktion?
  • Welchen Anteil hat eine geänderte Getriebeübersetzung?

 

Zu Frage 1: Von den 0,4 Sekunden gehen bestimmt 0,2 Sekunden zu Lasten der Traktion, vom Sauger aus betrachtet.

Zu Frage 2: Folgendes Diagramm vergleicht die Gesamtübersetzungen vom Motor bis zu den Rädern.

 

 

 

Es fällt auf, der 1. Gang des Turbo ist kürzer übersetzt als der Sauger, 2. und 3. Gang sind identisch, 4., 5. und 6. Gang sind etwas länger, und der 7. Gang wieder etwas kürzer. Der Sauger kann sich den langen 1. Gang leisten, weil der Saugmotor schnell anspricht und unterhalb von 1.200 U/min sogar ein höheres Drehmoment aufweist als der Turbo. Der lange 7. Gang ist ein Zugeständnis an die Endgeschwindigkeit. Die Marke von 300 km/h war unbedingt zu knacken. Mit einer rein auf Beschleunigung ausgelegten Getriebeübersetzung würde der Sauger die 200 km/h-Marke schneller erreichen.

 

Spielwiese Baukasten

Wie geht es weiter mit dem 911- Carrera? Zwischen 911 Carrera und 911 Turbo gibt es immer noch zwei potente Saugmotor-Varianten, den GT3 und GT3 RS - siehe Diagramm.

 

 

Man kann sich lebhaft vorstellen, dass Porsche diese hochpreisigen Saugvarianten in Zukunft durch Hubraumvergrößerung und Softwaretuning des neuen Carrera ersetzt.

 

Alarm: Cayman und Boxster sind zu schnell für den 911er

Sein Konzept beschert dem 911er weiteres, noch größeres Problem. Obwohl, eigentlich geht es wieder um das gleiche Thema, die ungünstige Achslastverteilung. Cayman und Boxster machen dem großen Bruder das Leben schwer, denn dank Mittelmotor glänzen sie durch eine ausgewogene Gewichtsverteilung. Auf der Rennstrecke kann sich der 911er nur mit größter Mühe und brachialer Gewalt seiner Haut erwehren. Bei gleicher Leistung sieht er nur die Rücklichter.

Das geht natürlich nicht, weil nicht sein kann was nicht sein darf!

Das Rezept von Porsche zur Ehrenrettung des 911er lautet: Die lästigen Konkurrenten aus gleichem Hause werden auf aufgeladene Vierzylindermotoren zurechtgestutzt. Kein Aprilscherz, keine Faschingsgaudi, kein Druckfehler, keine Leseschwäche sondern bitterer Ernst.

Ist Porsche noch zu helfen? Zweifel sind durchaus angebracht.

 

 

20.01.2016 Jacob Jacobson

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