Matthias Müller fährt auf Sicht

Der Autokritiker

Jacob Jacobson

puristisch - kritisch - anregend

SZ vom 21./22.11.2015: "Matthias Müller fährt auf Sicht." Nach der Krise ist vor der Krise.

 

Manager planen gerne. Heerscharen von hochbezahlten und bestens ausgebildeten Mitarbeitern versorgen Sie mit Prognosen, Strategien, Konzepten und Zukunftsszenarien. Jedoch, kaum passiert etwas Ungewöhnliches, heißt es: "Wir fahren auf Sicht."

 

Nach der Krise ist vor der Krise. Dieser Satz trifft auf die deutschen Automobilkonzerne ganz besonders zu. In der, mittlerweile vergessenen letzten Krise wurden die Konzerne mit Kurzarbeit und Abwrackprämien über Wasser gehalten, auf Kosten der Allgemeinheit. Auch da hieß es überall: "Wir fahren auf Sicht."

 

Dazu ein paar Fragen:

 

  • Wie fahren die erfolgsverwöhnten Vorstände sonst, im Blindflug?
  • Bedeutet es, dass sie auf kritische Szenarien nicht vorbereitet sind?
  • Heißt das, dass sie reine Schönwetterpiloten sind?
  • Sind sie unter diesen Umständen ihr Salz wert?
  • Haben sie in den fetten Jahren zu viel Dividende ausgeschüttet.
  • Haben sie zu viel Augenmerk auf die Aktionäre gerichtet und zu wenig auf langfristige Stabilität?
  • Haben sie sich in einem Anfall von Größenwahn die falschen Ziele gesteckt?
  • Hätten nicht Aufsichts- und Betriebsräte diese irrationalen Höhenflüge unterbinden müssen?
  • Haben alle miteinander aus der letzten Krise nichts gelernt?

 

Die Antworten auf jede einzelne Frage lauten: Ja, Ja und nochmals Ja! Noch vor kurzem überboten sich die Topmanager (nicht nur) der deutschen Autoindustrie mit Superlativen. Einer wollte der Größte werden, ein anderer der Rentabelste, ein Dritter der größte Premiumhersteller, ein Vierter der Innovativste, ein Fünfter der Sicherste, ein Sechster der Nachhaltigste usw. Besonders Ehrgeizige wollten natürlich alles auf einmal, nach dem Motto: "Das Beste oder Nichts." Im Glauben an den immerwährenden Höhenflug rüsteten sie die Werke auf gigantische Stückzahlen hoch, stellten wie verrückt Leute ein, vorzugsweise High-Performer mit akademischen Titeln, und schufen so die Voraussetzungen, dass beim kleinsten Windstoß das Kartenhaus zusammenfällt.

 

"Spare in der Zeit, dann hast du in der Not." Für deutsche Topmanager gilt dieser Satz nicht. Ihre Devise lautet: "Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist." Dividenden ausschütten, in neue Modelle und Werke investieren, High Tech und sog. Innovationen fördern, solange bis nichts mehr da ist. Hauptsache keine Steuern. Wenn es eng wird, hilft der deutsche Staat.

 

Wer von den Spitzenmanagern kennt die Bücher von Nassim Nicholas Taleb: "Der schwarze Schwan" und "Antifragilität"? Eigentlich eine Pflichtlektüre für Leute mit Verantwortung. Taleb beschreibt das Auftreten unvorhergesehener, existenzbedrohender Ereignisse, und wie man sich schützen kann. Ein Zitat daraus lautet:

"Die Urform aller Fehlschlüsse: Das Verwechseln der Abwesenheit eines Beweises mit dem Beweis für die Abwesenheit."

 

Der Autokritiker glaubt nicht, dass Vorstände sich die Zeit nehmen, es zu lesen. Dazu sind sie viel zu wichtig und haben einen zu dicht gedrängten Terminplan. Und wenn doch, werden sie es bestimmt mitleidig belächeln. Gegen Ratschläge von dritter Seite sind sie immun. Sie wissen immer alles besser und kennen keine Selbstzweifel, sonst wären sie beruflich nicht so weit gekommen. Wenn überhaupt, dann investieren sie lieber ein paar Millionen in McKinsey oder Roland Berger. Auf die können sie die Verantwortung elegant abwälzen, wenn etwas schief geht.

 

Was kann man gegen die Arroganz der Reichen und Mächtigen unternehmen? Der Autokritiker behauptet: Nichts. Dazu ist die herrschende Elite zu gut vernetzt. Dazu ist die Durchlässigkeit zwischen Vorständen, Aufsichtsräten und Politik viel zu hoch.

 

Zurück zu VW: Wer wird wohl die Zeche bezahlen? Dazu braucht es nicht viel Phantasie. Ganz sicher ist, wer sie NICHT bezahlen wird: Piëch, Porsche, Winterkorn, Müller und Co.

 

23.11.2015 Jacob Jacobson

 

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