Ferdinand Piëch, der Techniker: Genial oder Brachial?

Der Autokritiker

Jacob Jacobson

puristisch - kritisch - anregend

Ferdinand Piëch, der Techniker: Genial oder Brachial?

 

Ein Nimbus umgibt Ferdinand Piëch, der Nimbus des genialen Technikers. War er nicht der Vater (oder besser Großvater) des Allradantriebs, ein Pionier des Leichtbaus, ein Erfinder außergewöhnlicher Motoren und Fahrzeuge? Doch, das war er. Die Medien neigen dazu, Dinge verkürzt und mythisch überhöht darzustellen. So auch die technischen "Glanzleistungen" des Ferdinand Piëch.

Was aber steckt wirklich hinter all diesen "Geniestreichen". Um das herauszufinden, genügt es nicht, nur an der Oberfläche kratzen wie die Medien, insbesondere die von Audi- und VW-Werbung massiv gesponserten Autozeitschriften. Man muss schon hinter die Kulissen schauen, um den richtigen Zusammenhängen auf die Spur zu kommen. Begleiten wir Piëch einfach mal auf seinem Werdegang bei Audi und VW.

 

Erblast Audi 100:

Die Geschichte beginnt 1969 mit der Einführung des Mittelklassemodells Audi 100. Dieses Modell bekam Frontantrieb, mit dem Motor längs vor der Vorderachse. FP war an diesem Konzept nicht beteiligt. Als er 1975 das Amt als Technikvorstand antrat, musste er notgedrungen dieses Konzept mitübernehmen. Eine unschöne Erblast, denn das Konzept bedeutete einige gravierende Nachteile.

 

Überhang vorne: Das Konzept verursacht einen riesigen vorderen Überhang. Dieser Überhang galt lange Jahre als das Audi Erkennungsmerkmal schlechthin. (Spötter bezeichneten den Überhang als "Vorsprung der Technik".) Verzweifelt versuchten die Designer, die unschönen Proportionen optisch zu kaschieren, mit mäßigem Erfolg. Erst in jüngster Zeit führten technische Kunstgriffe zu einer Verbesserung (Stichwort "Modularer Längsbaukasten").

 

Vorderachslast:

Das nächste Problem war die extrem hohe Vorderachslast. Sie bewirkt zwar einen stoischen Geradeauslauf und eine ausgezeichnete Traktion, ist aber gleichzeitig die Ursache heftigen Untersteuerns. Die träge Reaktion beim Einlenken, das Schieben über die Vorderräder in der Kurve, begleitet vom Wimmern der überforderten Vorderreifen - das erstickt jeglichen Fahrspaß im Keim.

 

Leistungslimit:

Mit Frontantrieb lassen sich guten Gewissens nur 150 PS mobilisieren. Das sollte sich zum größten Hemmschuh für Audi beim Aufstieg in die automobile Ober- und Premiumklasse herausstellen.

 

BMW-Erfolg:

Was hatte das alles mit Piëch zu tun? Piëch musste neidvoll mitansehen, wie der Konkurrent aus München die Welt der feinen und teuren Automobile eroberte. Großvolumige, leistungsstarke und seidenweich laufende Sechszylinder-Reihenmotoren, später sogar Acht-und Zwölfzylindermotoren, jede Menge Fahrspaß durch agiles Handling aufgrund des überlegenen Heckantriebs - das waren wesentliche Eckpfeiler des BMW-Erfolgs.

 

Fünfzylinder-Reihenmotor:

Als erstes nahm Piëch das Motorproblem aufs Korn. Ein Sechszylinder-Reihenmotor musste schleunigst her, erwies sich aber in der bewussten Einbaulage als unfahrbar. Das war die Geburtsstunde eines Kompromissmotors, des Fünfzylinders. Der verschärfte das Problem der Vorderachslast noch weiter, ohne an die Laufruhe des Sechszylinder-Reihenmotors heranzukommen. (Auf eine andere Piëchsche Idee war die Fünfventil-Technik. Mit großem Trara vermarktet, verschwand sie klammheimlich wieder von der Bildfläche. Aufwand und Ergebnis standen in keinem guten Verhältnis, wie bei vielen Piëchschen Kreationen.)

 

Allradantrieb:

Mit dem Fünfzylindermotor schmerzte die Limitierung der Leistung durch das Frontantriebsprinzip noch mehr. In dieser Notlage ergänzte Piëch den Frontantrieb durch einen Heckantrieb - zum Allrad. Wesentlich besser wäre gewesen, den Frontantrieb bei den großen Modellen gänzlich zu eliminieren. Das hätte aber eine völlig neue Motorlage bedeutet, also ein von Grund auf neues Fahrzeug. Langfristig gesehen wäre das bestimmt die bessere Lösung gewesen, war aber dem ehrgeizigen Piëch nicht schnell genug.

Seine vielleicht größte Leistung in dieser Situation war, aus der Not eine Tugend zu machen. Er schaffte es, die Öffentlichkeit glauben zu machen, dass der Allrad keine Notlösung, sondern einen technischen Fortschritt darstellte. Dabei leisteten die Rallyeeinsätze und das Engagement von Walter Röhrl kräftige Dienste. Im Nachhinein war das Walter Röhrls größte Fehlentscheidung. Seinen beiden Weltmeisterschaften mit Opel und Ford konnte er keine dritte mehr hinzufügen. Die Konkurrenz hatte inzwischen auch auf Allrad umgestellt, und der schwerfällige und untersteuernde Audi Quattro war dagegen machtlos. Mit dem Kurz-Quattro wurde versucht Boden gutzumachen, die Schwächen des Antriebskonzepts mit dem Motor vor der Vorderachse traten aber noch schonungsloser zutage.

 

Audi 200:

Ebenfalls der Ungeduld Ferdinand Piëchs verdankt der Audi 200 sein Erscheinen. Er sollte den Einstieg in die automobile Oberklasse markieren, war aber nichts anderes als ein aufgedonnerter Audi 100. Das Publikum ließ sich dieses Mal nicht hinters Licht führen und verweigerte die Akzeptanz. In Summe fügte dieses Fahrzeug Audi einen Image-Schaden zu, von dem sich die Marke lange Zeit nicht erholte.

 

Alu-Leichtbau:

Allrad wiegt. 100 kg Mehrgewicht fallen an und verschlechtern die Fahrleistungen. Schon wieder ein Handicap gegenüber der Konkurrenz. Der angebliche Leichtbau-Fetischist Piëch reagierte mit einer Aluminium Karosserie im neu entwickelten A8. Audi lernte dabei nicht nur eine Menge in der Verarbeitung von Aluminium, sie mussten auch schmerzhaft erfahren, dass Alu auch seine Tücken hat - schlechte Vibrationsdämpfung und geringe Steifigkeit. Die Beseitigung dieser Probleme frisst den Gewichtsvorteil zu einem guten Teil wieder auf. Wiederum mehr Kosten als Nutzen, wie gehabt.

 

VR-6-Motor:

Kaum war Piëch erfolgreich vom Audi- zum VW-Chefsessel gewechselt, war der VW Golf das erste Opfer seines manischen "Verbesserungsdranges". GTi war nicht genug, es musste mehr Leistung her in Form eines quer eingebauten Sechszylindermotors. Die Zylinderabstände wurden mit einer 15-Grad-Verschränkung reduziert und es entstand der VR-6-Motor, ein Mischung aus Reihen- und V-Motor. Böse Zungen sprechen von einer Missgeburt. In der Tat hatte der Motor von Anfang an mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Wegen der verschachtelten Bauweise lagen vor allem Thermik und Verbrauch im Argen. Aber Piëch drückte den Motor gegen alle Widerstände in den Markt. Es stellte sich sehr schnell heraus, dass der Golf VR-6 nur mit Mühe dem Golf GTi Paroli bieten konnte, und das zu einem deutlich höheren Preis. Wiederum mehr Imageschaden als Benefit, von den finanziellen Verlusten ganz zu schweigen.

 

W-12-Motor:

Wer glaubte, das Desaster mit dem VR Motor würde dem Piëchschen Tatendrang einen Dämpfer verpassen, der täuschte sich gewaltig. In seinem Streben nach Leistung und Zylindern zündete er die nächste Stufe der High-Tech-Rakete. Zwei VR-6 Motoren wurden zu einem sogenannten W-12 Motor verheiratet. Wobei Audi/Piëch hier Etikettenschwindel betreiben, denn eigentlich handelt es sich "lediglich" um einen V-12 Motor. Das kurz bauende VR-Prinzip erlaubte es endlich, in die höherwertigen Audi- und VW-Modelle einen Zwölfzylinder einzusetzen.

Leider ergeben zwei Kranke in einem Bett noch keinen Gesunden. Im Gegenteil, die Probleme addieren sich nicht nur sondern potenzieren sich. Die Ingenieure hatten alle Hände voll zu tun, die thermischen und mechanischen Eigenschaften in den Griff zu bekommen. Von der schlechten Kraftstoffeffizienz ganz zu schweigen. Ein irrer Aufwand, den sich VW/Audi hier leistete. Nur möglich, weil Piëch sich über alle kaufmännischen Überlegungen hinwegzusetzen konnte.

 

W-16-Motor:

Was kann man erreichen, wenn man keinen noch so hohen Aufwand scheut? Ferdinand Piech beantwortet diese Frage souverän - mit dem Bugatti Veyron und dem W-16-Motor. Zwölf Zylinder waren nicht genug für sein Vorhaben, den schnellsten Serien-Sportwagen der Welt zu bauen. Seine Techniker bekamen die undankbare Aufgabe, einen W-16-Motor zu entwickeln. Er entspricht in der Grundanordnung einem W-12, ergänzt durch jeweils zwei Zylinder pro Bank. Sämtliche Schwierigkeiten und Probleme im Laufe der Entwicklung aufzuführen, würde den Platz an dieser Stelle sprengen. Das bleibt einem späteren Beitrag vorenthalten. Konsequenterweise erhielt das Fahrzeug den Piëchschen Standardantrieb: Permanenten Allrad. Leergewicht 1,9 Tonnen. Soviel zum Thema Leichtbau.

 

Diesel V-10 und V-12:

Der Siegeszug der großen SUVs ermunterte VW/Audi, auch für diese Monster passende Motoren anzubieten. Heraus kamen dabei V-10 und V-12-Motoren. Zwei völlig überflüssige Neukonstruktionen, die sich mittlerweile von den V-8-Motoren in Verbrauch, Leistung, Laufruhe und Gewicht geschlagen geben müssen.

 

VW XL1:

Eine Herzensangelegenheit von Ferdinand Piëch war das 1-Liter-Fahrzeug. Anlässlich seiner pressewirksamen Fahrt 2002 mit Bernd Pischetsrieder auf dem Rücksitz stellte er eine Großserienversion in Aussicht. 2014 war es dann soweit, der XL1 ging in Serie. Wobei der Begriff "Serie" für maximal 200 Stück fehl am Platze ist. Genauso falsch wie auch die Bezeichnung 1-Liter-Auto bei einem Verbrauch von knapp 2 l/100km. Noch dazu ist das Fahrzeug völlig praxis-untauglich. Gemessen am Aufwand ist das Ergebnis eine Blamage. Das konnten sie im Jahre 1999 mit dem 3Liter-Lupo schon besser.

 

Fazit:

 

„Jeder intelligente Narr kann Dinge größer, komplexer und gewaltsamer machen. Es braucht einen Anflug von Genie, die entgegengesetzte Richtung zu beschreiten.“ (E. F. Schumacher)

 

Von Ernst Friedrich Schumacher stammt das leider in Vergessenheit geratene Buch "Small is Beautiful". Mit dieser an Bescheidenheit appellierenden Maxime kann sich ein Mann wie Ferdinand Piëch nicht anfreunden. Sein Lebensmotto ist das Streben nach Superlativen. Viele seiner genialen technischen Schöpfungen entpuppen sich bei näherer Betrachtung als Verlegenheitslösungen, die nur mit erheblichem Aufwand umsetzbar waren. Ein Aufwand, den Piëch nur dank seiner Machtfülle im VW-Konzern und aufgrund der enormen Gewinne mit dem VW Golf durchdrücken konnte. Der VW-Golf übrigens stammte nicht aus der Feder von Ferdinand Piëch.

 

Der Erfolg gibt ihm Recht, heißt es allgemein. Wer weiß vielleicht hätte ein anderer an seiner Stelle sogar mehr Erfolg gehabt.

 

 

Jacob Jacobson 05.05.2015

 

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