05.02.2016: Vierzylinder ersetzt Sechszylinder

Der Autokritiker

Jacob Jacobson

puristisch - kritisch - anregend

Vierzylinder-Benziner als Totengräber des Sechszylinders?

 

Ganz Deutschland vom Vierzylinder-Virus infiziert? Nicht ganz. Es gibt noch Restbestände von überwiegend älteren Personen, deren Abwehrkräfte noch intakt sind, und die diese Epidemie heftig bekämpfen. Wenn auch, wie auf diesen Seiten, auf rein verbaler Basis.

"Vierzylinder Spezial "heißt die Lobeshymne in AutoBild auf den Vierzylindermotor. Gleich zehn Modelle fahren die Redakteure auf, um den Beweis anzutreten, dass aufgeblasene Vierzylindermotoren allemal besser sind als Sechszylinder. Um nicht in Rechtfertigungsnöte zu geraten, ließen sie bei der Vierzylinder-Hitliste die Sechszylinder von vorneherein außen vor. Womöglich hätte sich der eine oder andere als unliebsamer Störfaktor entpuppt und die heile Vierzylinderwelt gestört. Der Autokritiker möchte wissen, ob die Vierzylinder-Euphorie gerechtfertigt ist.

 

Platz 8: BMW S 1000 RR

Nichts gegen Vierzylindermotoren. Bei Motorrädern und preiswerten Kleinwägen sind sie goldrichtig eingesetzt. Womit wir schon beim ersten Kandidaten (Platz 8) wären, den wir uns genauer anschauen wollen. Besser gesagt, einer Kandidatin, der BMW S 1000 RR. 199 PS quetscht sie aus vier Zylindern und 1000 Kubikzentimetern, bei einer Drehzahl von 10.500 Umdrehungen pro Minute. Der quer eingebaute Vierzylinder-Reihenmotor musste über Jahrzehnte immer wieder beweisen, dass er unübertroffen ist, was die reinen Fahrleistungen auf Asphalt angeht. Was gab es nicht alles für Versuche, ihm den Rang streitig zu machen? Quer- und längs eingebaute V-Zweizylinder, quer liegende V4-Zylinder, 4-Zylinder-Boxer in Längsrichtung, sowie auch eine Anzahl von Sechszylindermotoren. Alle scheiterten an der Komplexität oder an Leistungsdefiziten.

Der Siegeszug der Vierzylinder begann 1969 mit dem Erscheinen der Honda CB 750 Four. Nahtlos weiter ging es 1972 mit der Kawasaki Z1, die lange Jahre die Motorradszene dominierte. Sechszylinder hatten es schwer. Z.B. das erste Sechszylinder-Motorrad mit quer eingebautem Reihensechszylinder, die Benelli Sei. Sie sah flott aus, war aber leistungsmäßig eine herbe Enttäuschung. Besser machte es Honda mit der CBX in der gleichen Motoranordnung wie die Benelli. Sie konnte zwar mit den Vierzylindern in punkto Sportlichkeit nicht mithalten: Zu schwer, zu breit. Sie hob sich durch Laufruhe und souveräne Leistungsentfaltung von der Masse ab. Das gleiche galt für ein ganz besonderes Schwergewicht aus dem Jahre 1978, die Kawasaki Z 1300. Mit einem Leergewicht von 325 Kilogramm machte sie dem Hersteller, der Kawasaki Heavy Industries alle Ehre. Trotz alledem war sie mit Kardanantrieb und einem großen Tank eine ausgezeichnete Tourenmaschine. Touren sind auch die Domäne einer neuzeitlichen Interpretation eines Motorrades mit quer eingebautem Sechszylinder-Motor, der BMW K 1600 GT. Für ausschließlich sportliche Ambitionen muss sie sich der S 100 RR geschlagen geben.

Fazit: Sechszylindermotoren fristen bei Motorrädern ein Nischendasein. Die älteren Modelle sind begehrte Oldtimer und erreichen inzwischen sogar Kultstatus.

 

Platz 9: Honda Jazz 1.3i-VTEC

VTEC, das steht für Valve Timing and Lift Electronic Control, ein System, das zwischen zwei Steuerzeiten umschalten kann: Eine für Leerlauf, niedrige Drehzahlen und niedrigen Verbrauch, eine andere für hohe Leistung, hohe Drehzahlen und entsprechend hohem Verbrauch. Das Ergebnis: der niedrige Testverbrauch von 5,9 L/100 km liegt gerade mal 20 Prozent über dem ECE-Verbrauch. Ein überschaubarer Aufwand im Vergleich zu anderen Vierzylinder-Motörchen => siehe Platz 5: VW Polo Blue GT 1.4 TSI ACT. Seine 102 PS erreicht er ohne Aufladung und Direkteinspritzung.

Fazit: Niedriger Verbrauch, niedriges Gewicht, niedrige Kosten - so ist der Vierzylinder am richtigen Platz.

 

Platz 10: Ford Mustang 2.3 Ecoboost Automatic

Ein Ford Mustang mit Vierzylindermotor? Was im ersten Moment wie ein schlechter Scherz klingt, entpuppt sich als durchaus überlegenswerte Alternative zum Achtzylinder. Schuld daran ist weniger der Preisvorteil von 5.000 Euro, sondern die ansprechenden Fahrleistungen und der niedrigere Verbrauch. Leider scheint AutoBild die Leistung dieses Fahrzeugs nicht recht zu würdigen, sonst wäre es nicht auf dem letzten Platz gelandet. Ganz besonders auffällig ist der Unterschied in der Bewertung, wenn man den Mustang mit folgendem Fahrzeug vergleicht:

Platz 3: Audi S3 Limousine S-tronic

 

Herz und Verstand, nach diesen beiden Kriterien erfolgte das AutoBild-Ranking. Der Autokritiker frägt sich bei diesem Ergebnis nicht zum ersten Mal, ob Journalisten keine Zahlen interpretieren können. Schon richtig, die Herz-Bewertung erfolgt rein emotional. Aber weckt ein Ford Mustang vielleicht weniger Emotionen bei Fahrer und Publikum als ein nüchterner Audi S3? Eigentlich eher mehr, würde man spontan vermuten. Liegt es an den schlechteren Fahrleistungen? Der Unterschied von Null auf 100 km/h von 0,9 Sekunden rechtfertigt ebenfalls keine Differenz von 30 Prozent.

Noch mysteriöser wird die Bewertung der rationalen Kriterien Preis, Verbrauch und Raumangebot. Der Audi ist im Grundpreis um 3.100 Euro teurer, im Testverbrauch gerade einmal um 0,1 Liter sparsamer, und im Raumangebot schlechter als der Mustang. Wie kann man 40 % beim Audi, bzw. 20 Prozent beim Mustang damit rechtfertigen? Vermutlich nur über die Audi-Brille.

Die Wertung des Autokritikers sieht deshalb folgendermaßen aus:

 

Hut ab vor den Amis. Sie haben auch gute Ingenieure, die hervorragende Motoren bauen können. Und bezahlbare Autos.

Fazit: Der wahre Mustang-Fan wird natürlich noch 5.000 Euro drauflegen und sich den Achtzylinder auf den Hof stellen. Dann sind aber 100 Prozent Herz angesagt, auch wenn der Verstand Nein sagt und sich mit 20 Prozent begnügen muss. Im Durchschnitt wären das immer noch 60 Prozent. Die reichen aus, den Audi Vierzylinder aus dem Feld zu schlagen.

 

Platz 5: VW Polo BlueGT 1.4 TSI ACT

Schon allein der Name beeindruckt. Der Motor des VW Polo hat alles an modernen Zutaten, was dem Honda Jazz fehlt: Direkteinspritzung, Aufladung, Ausgleichswellen und sogar Zylinderabschaltung. 150 PS, Testverbrauch 6,1 L/100 km, Leergewicht 1.219 kg sind das Ergebnis dieser High-Tech-Offensive. Wir erinnern uns: Honda Jazz 102 PS, 5,9 L/100 km, Leergewicht 1104 kg. High Tech ist teuer. Der Polo kostet stattliche 20.575 Euro, der Jazz dagegen nur 15.990 Euro. Natürlich hat der Polo bessere Fahrleistungen, ob das aber ausreicht, um die Preisdifferenz von fast 5.000 zu kompensieren? Eine Herz-Wertung von 50 % für den Polo scheint auf jeden Fall reichlich übertrieben. Liebe Leute von AutoBild, ein Polo ist ein Polo, …

Fazit: Man kann es mit High-Tech bei Kleinwägen auch übertreiben.

 

Platz 4: Toyota GT 86

Ein Sportwagen mit Vierzylinder-Boxer-Saugmotor, 200 PS Leistung, 1.235 kg schwer, mit Heckantrieb, zu einem Preis von 28.950 Euro - da kann man eigentlich nicht meckern. Da ist nichts Überflüssiges dran, keine Pfunde, kein Turbolader und kein Frontantrieb. Allerdings ist auch nichts dran, was das Fahrzeug besonders macht, ihm einen speziellen Kick verleiht. Ein Vierzylindermotor ist halt doch sehr bieder und am Hubraum wurde auch noch gespart, das reißt kaum jemand vom Hocker, wie der schleppende Verkauf belegt. Um ernst genommen zu werden, bräuchte so ein Objekt einen Sechszylindermotor mit drei Litern Hubraum und mindestens 250 PS. Dann dürfte er auch ein paar tausend Euro mehr kosten.

Fazit: Schade um das stimmige Konzept. Zwei Zylinder mehr wäre doch mehr gewesen.

 

Platz 2: BMW 330i Automatik

Doppel-VANOS, Twin-Scroll Turbolader, Valvetronic, Direkteinspritzung, Ausgleichswellen: Haben wir etwas vergessen an hochkarätiger Motorentechnik im BMW 330i? Und das alles nur, um zu beweisen, dass ein Vierzylinder in die Fußstapfen eines der besten Motoren auf der Welt treten kann, dem Sechszylinder-Reihen-Saugmotor mit drei Litern Hubraum. Die 30 in der Typenbezeichnung suggeriert ja eigentlich 3 Liter Hubraum. So gesehen ist diese Bezeichnung für den aufgeladenen 2-Liter Motor ein echter Etikettenschwindel. Einer von der Sorte, die uns BMW schon seit Jahren zumutet. Inzwischen haben wir uns daran gewöhnt - zwangsläufig.

Will man wissen, wie der gedopte Vierzylinder im Vergleich zum echten, "cleanen" Sechszylinder aussieht, muss man in der Historie weit zurückblättern. Der letzte Dreiliter-Saugmotor kam im 130i zum Einsatz, Baujahr 2010.

 

 

Ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen? Mal sehen:

Der Vierzylinder übertrifft den Sechszylinder im Verbrauch und in den Fahrleistungen. Allerdings nicht ohne einen gewissen Aufwand an High-Tech, wie Eingangs bereits erwähnt. Der Sechszylinder muss ohne Doppel-VANOS, Direkteinspritzung und Achtganggetriebe auskommen. Außerdem ohne Start-Stopp-Automatik, Lichtmaschinen-Rekuperation und bedarfsgesteuerte Nebenaggregate. In Verbindung mit Reibungsoptimierung des gesamten Antriebsstrangs könnte der Sechszylinder im Verbrauch dem Vierzylinder bis auf wenige Zehntel nahekommen. Und wer stört sich in dieser Leistungsklasse schon an Zehnteln? Einziger Wermutstropfen: Die Beschleunigung. Zwar würde die Achtstufenautomatik helfen, jedoch ist im normalen Fahrbetrieb ein Saugmotor aufgrund seiner Charakteristik ein schlechter Partner von Wandlergetrieben. Aber auch da gibt es Abhilfe: Das 6-Gang Doppelkupplungsgetriebe.

Wir haben noch nicht über die Laufruhe und den Motorsound gesprochen. Kann man bei einem aufgeladenen Vierzylinder überhaupt von "Sound" sprechen? Laufgeräusch wäre die richtige Bezeichnung. Der Sechszylinder elektrisiert bereits beim Anlassen. Den Tritt aufs Gaspedal beantwortet er mit sofortiger Leistung, und wenn es sein muss, jubelt er hoch bis in höchste Drehzahlregionen. Emotionen pur. Man muss aber das Drehzahlband nicht immer voll ausschöpfen, auch wenn es noch so viel Spaß macht. Bequem kann man im 6. Gang in der Ortschaft dahingleiten und am Ortsausgang beschleunigen, ohne zu schalten und ohne das Gefühl, nicht vom Fleck zu kommen. Natürlich fehlt ihm der Schub von Ladermotoren bei niedrigen Drehzahlen. Der Verlust hält sich jedoch in Grenzen, in engen Grenzen wohlgemerkt.

Fazit: Der Sechszylinder-Saugmotor von damals ist technisch nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Mit zeitgemäßen Anpassungen wäre er in der Verstandeswertung auf gleicher Höhe mit dem Vierzylinder. Und wenn der Vierzylinder in der Herz-Wertung 95 Punkte bekommt, müsste der Sechszylinder mindestens 120 bekommen. Leider endet die Skala bei 100. Schade um dieses Sahnestück von einem Motor, da kann sich der Journalist verbal noch so sehr ins Zeug legen.

 

Platz 1: Mazda CX3 Skyactiv-G 120

Mazda beweist es: Ein Motor kann auch ohne Turbolader Spaß machen, beim Fahren und beim Tanken. Wie schaffen es die Mazda-Leute immer wieder, gegen den Strom, den Main-Stream zu schwimmen? Neben den modernen Motormaßnahmen mit einer Verdichtung auf 14:1 und einer sauber abgestimmten 4-2-1-Auspuffanlage. Da sollten sich die Bayerischen Motoren Werke ein Beispiel nehmen. Der Purist mag gar nicht daran denken wie es wäre, wenn Mazda-Technik auf einen BMW Reihen-Sechszylinder träfe. Es wäre zu schmerzhaft.

Weitere Vorteile des leanen Mazda-Konzepts sind niedriges Gewicht (1.218 kg) und niedriger Preis (17.990 Euro). Was will man mehr?

Fazit: So muss Vierzylinder-Benzinmotor! Nicht zum Sechszylinder-Konkurrenten hochfrisiert, sondern als leichtes, preiswertes Aggregat für den Quereinbau in preiswerten Massenfahrzeugen. Kompliment an Mazda.

 

Zusammenfassung:

Der Trend zum Downsizing bei Benzinmotoren ist nicht aufzuhalten. Der wahre Grund liegt in der Baukasten und Plattformstrategie, die fast überall Einzug hält, sogar bei Mercedes und BMW. Es ist aber auch zu verlockend: Einheitliche Anordnung von Benzinern und Dieseln im Motorraum, Herstellung auf identischen Fertigungsstraßen, Anpassung der Leistung fast ausschließlich durch Software. Kein Hersteller kann es sich leisten, diese Skaleneffekte nicht mitzunehmen.

Leider rückt der Aufwand die Benzinmotoren verdächtig nahe an die Dieselmotoren, ohne denen im Verbrauch signifikant näherzukommen. Gerade jetzt würde der Benzinmotor durch die Abgasprobleme des Diesels einen kräftigen Schub bekommen. Man darf nur nicht den Fehler machen, ihn mit High Tech zu überladen und preislich zu hoch anzusiedeln, was aber häufig der Fall ist. Deutsche Ingenieure können´s halt nicht lassen, das Overengineering.

Was die Motivation der Journalisten bei AutoBild anbetrifft, hier drängt sich der Verdacht auf, dass sie der Generation der zu kurz gekommenen angehören. Als die Sechszylinder-Sauger noch einigermaßen erschwinglich waren, waren sie zu jung. Die heutigen aufgeladenen Sechszylinder sind zu teuer. Es geht ihnen wie dem Fuchs mit den Trauben. Sie müsses es sich nur so lange einreden, bis sie selber daran glauben. Autosuggestion nennt man dieses Verhalten. Da lässt sich der Autokritiker lieber von zwei Zylindern mehr überzeugen.

 

 

05.02.2016 Jacob Jacobson

 

 

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