VW Desaster

Der Autokritiker

Jacob Jacobson

puristisch - kritisch - anregend

VW-Desaster: Nichts ist gefährlicher als Erfolg!

 

Warum wundert den Autokritiker das Desaster in großen Automobilfirmen überhaupt nicht? Warum erwischt es ausgerechnet die erfolgsverwöhnten Unternehmen und obendrein genau in dem Moment, in dem sie sich am Ziel ihrer Träume wähnen? Wie aus heiterem Himmel passieren urplötzlich schreckliche Dinge. So war es bei Daimler nach dem Kauf von Chrysler und bei Porsche kurz vor der Finanzkrise, um nur zwei Beispiele zu nennen. Lässt sich daraus vielleicht sogar eine Gesetzmäßigkeit ableiten?

 

Drei Firmen hatten eine Vision. Genauer gesagt, die Vorstandsvorsitzenden hatten eine. Wiedeking ordnete alles dem Bestreben unter, nach außen den Anschein zu erwecken, der weltweit rentabelste Autohersteller zu sein. Schrempp hatte die Vision vom Weltkonzern vor Augen. Das erklärte Ziel eines Dritten war es, weltweit die meisten Autos zu verkaufen. Jeder Konzernlenker möchte auf irgendeinem Gebiet der Größte sein.

 

Mit schöner Regelmäßigkeit stellt sich im Nachhinein heraus, dass firmenintern die Kräfte und Ressourcen nur noch dem einen Ziel dienten, Visionen von Managern zu realisieren, die sich aus der Realität verabschiedet hatten. Charismatische Führerpersönlichkeiten verstehen es ein Umfeld zu schaffen, das ihre Begeisterung bedingungslos teilt, zumindest in den Taten. Deshalb sieht es nach außen hin nur so aus, als ob die Probleme unvermutet auftauchen und sich fatalerweise nach dem Schneeballprinzip dann auch noch rasant vermehren. Die sichtbaren Ereignisse markieren nur die Endstufe von internen Prozessen, die ihr Entstehen oft gerade einem lange anhaltenden Erfolg verdanken. In Wahrheit beginnen die Probleme schon viel früher.

 

So beginnt eine Geschichte aus dem Jahre 2010 - nicht über VW. Damals war Toyota mit Qualitätsproblemen ins Straucheln geraten. Mit kleinen Modifikationen lässt sich der Artikel wunderbar recyceln. Lesen Sie einfach weiter, und ersetzen gedanklich Toyota durch VW und Hybrid durch Diesel, schon passt´s.

 

Wie sich jetzt herausstellt, wusste die Toyota Führung über die Probleme schon in 2007 Bescheid. Warum wurde nichts unternommen? Aus einem ganz einfachen Grund. Die Führungskräfte in einem so erfolgreichen Unternehmen dürfen keinen Fehler zugeben. Wer in einem unfehlbaren Unternehmen Fehler zugibt, kann gleich zum Strick greifen. Deshalb werden Fehler vertuscht und verschwiegen. In eine ununterbrochene Reihe von immer neuen Siegmeldungen passt eine negative Schlagzeile einfach nicht ins Bild. Sie wäre unglaubwürdig.

 

Waren sie nicht eben noch wegen der erfolgreichen Hybridstrategie von den Medien so hochgejubelt worden? Kann es nicht sein, dass sich Toyota genau daran schwer verhoben hat? Die Hybridfahrzeuge sollten das Image aufpolieren, was sie auch geschafft haben. Aber zu welchem Preis? Zum Preis der Bindung von unendlichen Entwicklungsressourcen und verhängnisvollen Kostenreduzierungen Der Wettbewerb lacht sich ins Fäustchen, denn Toyota demonstrierte mit seinem Konzept ein Vorgehen, wie man Entwicklung nicht betreiben darf.

 

Gibt es denn in den großen Unternehmen kein Regulativ, das solche Fehlentwicklungen verhindert, das Ruder herumreißt, auf die Bremse tritt? NEIN! - Dazu ist der Mann an der Spitze zu mächtig. Oder besser gesagt, die streng hierarchische Unternehmensführung lässt das nicht zu. Im Laufe der Jahre verfestigt sich eine Struktur, die Kritik von unten nach oben schon im Keim erstickt.

 

An ganz bestimmten Merkmalen lässt sich ablesen, ob ein Unternehmen dabei ist auf die schiefe Bahn zu geraten. Wie bereits erwähnt: Visionen des Mannes an der Spitze sind immer ein starkes Indiz. "Nichts ist unmöglich." "Wir sind die Nr. 1." "Wir sind die Besten, die Rentabelsten, die Effizientesten."

 

Vermeintlich starke Männer umgeben sich gerne mit einem Hofstaat, der ihre Visionen opportunistisch teilt. Eine einmal beschlossene Strategie wird durchgezogen, auch wenn die Firma dabei vor die Hunde geht. Das lernt man aus der Causa DaimlerChrysler. Trotz allergrößtem Einsatz von Ressourcen und Geld bis an die Grenzen der Belastbarkeit geriet es zur Katastrophe. Die Reißleine hätte schon viel früher gezogen werden müssen. Von Kritiken an Schrempp aus den eigenen Reihen wurde nichts publik. Erst gegen Ende der Ära Schrempp erdreistete sich Wolfgang Bernhard, "den Daimler" als Sanierungsfall zu bezeichnen. Was ihn natürlich sofort den Kopf kostete. Als Vorbild nicht nachahmenswert.

 

Fatalerweise herrscht in lange erfolgreichen Unternehmen die Meinung vor, dass der Erfolg planbar ist. Dies führt zu einer wahren Flut an Strategiegremien, Marktforschungsprojekten, Konzeptaktivitäten und Zukunftsstudien. Bei diesem Aktionismus wird gerne übersehen, dass in der Vergangenheit sehr oft das Glück die Hauptrolle auf dem Wege zum Erfolg spielt. Oder wie das Sprichwort sagt: "Planung ist der Ersatz des Zufalls durch den Irrtum". Andererseits, wenn es schief geht, dann waren niemals die Entscheidungen der Vorstände schuld, sondern immer unvorhersehbare Umstände. Ob Wechselkurse oder Börsencrashs, eine Ausrede findet sich immer.

 

Es leuchtet ein, dass in einem stromlinienförmig auf Erfolg getrimmten Unternehmen für Eigeninitiative und Kreativität kein Platz ist. Eher schon für Durchsetzungsvermögen, Selbstdarstellung und Wichtigtuerei. Diese Charaktereigenschaften sind unumgänglich, wenn man im Konzert der Alphatiere nicht untergehen will. Politik ersetzt Sachkunde. Erst wenn es richtig knallt, ändert sich vielleicht etwas, wenn die Firma nicht gleich gänzlich von der Bildfläche verschwindet.

 

Wen erwischt es als Nächsten? Winterkorn greift nach den Sternen, Reithofer empfindet sich als Nr.1 im Premiumsegment, Stadler will am stärksten wachsen. Das kann ein spannendes Kopf an Kopf-Rennen werden. Nach unten! Die Richtung ist vorgegeben. Man kann nur hoffen, dass der Zeitpunkt noch recht lange auf sich warten lässt.

- Doch wenn das Glück die Phantasten verlässt... -

 

Neben dem Dieselmotor spielt bei VW noch ein anderer Gesichtspunkt eine Rolle, die Modellvielfalt. Ein Kahlschlag in der unüberschaubaren Flut an Modellvarianten ist dringend geboten. Ob Matthias Müller der richtige Mann dafür ist? Hoffentlich wirft er auch ein kritisches Auge auf Projekte wie Bugatti, XL1, W-12-Motor, Beetle, Scirocco, Phaeton und ähnliche. Sie dienten einzig und allein dem EGO von Piech/Winterkorn. VW stünde eine etwas bescheideneres Auftreten gut zu Gesicht.

 

Die Staatsanwaltschaft sieht keinen Anfangsverdacht gegen Winterkorn. Und das, bevor alle Fakten und Zusammenhänge bekannt sind. Sie gehen vermutlich davon aus, dass VW schon einen Sündenbock in den unteren Hierarchieebenen finden wird. Der Alleinherrscher, Alleswisser und Allesverantworter Winterkorn ging schlauerweise in Vorleistung und behauptete, nichts gewusst zu haben. Da denkt sich jeder, der diesen peniblen, seriösen Mann kennt: Wen der das behauptet, dann muss das stimmen, ist doch klar.

"Ich übernehme die Verantwortung und trete zurück. Und jetzt her mit den 25 Millionen Euro, die mir noch zustehen."

Das hat Winterkorn nicht gesagt, das legen ihm neidische Zeitgenossen in den Mund, die nicht glauben können, dass dieser Mann mit 17 Millionen Jahresverdienst adäquat entlohnt war. Es soll sogar Naivlinge geben, die sich unter Verantwortungsbewusstsein etwas anderes vorstellen, als mit vollem Geldbeutel das Weite zu suchen. JJ ist gerne bereit, ebenso wie einige aus der Belegschaft, MW etwas von seiner Last der Verantwortung abzunehmen.

 

02.10.2015 Jacob Jacobson

 

Der Text wurde mit fast identischem Wortlaut am 10.03.2010 veröffentlicht auf der Seite http://motor-kritik.de/node/117

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