BMW X1 mit Frontantrieb: Schütteltrauma für BMW Fans

Der Autokritiker

Jacob Jacobson

puristisch - kritisch - anregend

BMW X1 mit Frontantrieb: Schütteltrauma für BMW Fans

 

BMW Fans und Puristen aufgepasst! Vor lauter Kopfschütteln über die Modellpolitik der verehrten Marke BMW kann man sich leicht ein Schütteltrauma einhandeln. Kaum hat man den Schock des 2er-Viertürers mit Frontantrieb verdaut, schon bricht das nächste Ungemach über die Fangemeinde herein: Der X1-Nachfolger bekommt auch Frontantrieb.

Wer jetzt die Frage stellt "Na und, wo ist das Problem?", hat die Marke BMW nicht begriffen. Dazu gehören anscheinend die - ach so erfolgreichen - Vorstandsmannen um den Musterknaben und Ehrgeizling Dr. Norbert Reithofer. Sie hatten nichts weniger geplant, als die Marke BMW neu zu erfinden. Und das scheint ihnen zu gelingen. Besser als sie es sich vermutlich erträumten, aber nicht zum Besseren.

 

"Planung ist der Ersatz des Zufalls durch den Irrtum."

Diesen Spruch hätten sich die BMW-Oberen hinter den Spiegel stecken sollen.

 

Irrtum No. 1: Egal ob Front- oder Heckantrieb, der Kunde merkt eh´ keinen Unterschied.

Das mag auf 90 Prozent der Käufer zutreffen. Aber die restlichen 10 Prozent lassen sich nicht hinters Licht führen. Leider sind genau diese 10-Prozent wichtige Meinungsbildner und Multiplikatoren. Sie fühlen sich von BMW im Stich gelassen. Jahrzehntelang haben sie BMW gegen Audi und den Rest der Welt verteidigt. Jetzt fällt ihnen der Hersteller selbst in den Rücken. Außerdem spielt noch etwas anderes eine entscheidende Rolle: sieh Irrtum No. 2.

 

Irrtum No. 2: Frontantrieb ist genauso fahraktiv wie Heckantrieb.

auto motor und sport schreibt: "Seit dem Mini hat sich selbst in München rumgesprochen, dass man auch mit Frontantrieb fahraktive Autos bauen kann." Da haben sie Recht, die Journalisten von ams. Aber sie übersehen dabei einen entscheidenden Faktor, die Gewichtsverteilung. Die ideale Gewichtsverteilung für Hecktriebler sind 55 bis 60 Prozent auf der Hinterachse. Davon sind die modernen BMW-Fahrzeuge weit entfernt. Viel zu wenig Wert legt BMW auf diesen Faktor, zu schwer sind die Motoren, zu groß ist der vordere Überhang dank Ladeluftkühler. Warum ist der Mini so fahraktiv? Weil er eine für Fronttriebler eher ungünstige Vorderachslast besitzt, nämlich vergleichsweise wenig Gewicht auf der Vorderachse. Also begeht man bei diesem Vergleich den großen Fehler, einen suboptimalen Hecktriebler mit einem optimalen Fronttriebler zu vergleichen.

 

Irrtum No 3: Frontantrieb hat die bessere Traktion.

Hatte der VW Käfer ein Traktionsproblem? Der Käfer hatte viele Probleme, eine mangelhafte Traktion gehörte wahrlich nicht dazu. Kein Wunder bei einem Hinterachs-Lastanteil von > 65 Prozent. Viele Fronttriebler kommen mit ihren Vorderachslasten in ähnliche Größenordnungen. Sie liegen meistens zwischen 60 und 65 Prozent. Das ist das ganze Geheimnis. Will man aber den Frontantrieb fahraktiv gestalten, muss man die 60 Prozent unterschreiten, verliert aber dadurch Traktion - ein klassischer Zielkonflikt.

Aber es kommt noch besser. Beim Beschleunigen findet eine sog. dynamische Achslastverlagerung statt von vorne nach hinten. Fronttriebler verlieren Traktion, Hecktriebler gewinnen. Wer schon einen leistungsstarken Mini in engen Kehren oder auf nasser Fahrbahn sportlich bewegt hat, kennt den Effekt: Die Vorderräder scharren hilflos am Boden. Der Effekt der dynamischen Achslastverlagerung ist am größten bei hohem Schwerpunkt und kurzem Radstand. Beides Merkmale des X1.

Und noch eins - die Beladung. Bei Beladung steigt der HA-Lastanteil. Der Hecktriebler profitiert, der Fronttriebler verliert.

Ähnliches gilt für Steigungen. Der physikalische Zusammenhang lautet, je steiler der Berg, desto mehr Gewicht lastet auf der Hinterachse, und desto besser wird die Traktion. Bei Frontantriebsfahrzeugen ist es genau umgekehrt. Voll beladen an einer steilen Rampe anzufahren - für Fronttriebler ein Horrorszenario, für einen gut gemachten Hecktriebler kein Problem.

Was kann die Frontantriebs-Fraktion dagegen tun? Allradantrieb heißt das Zauberwort. Mangelnde Traktion ist einer der wesentlichen Gründe für die grassierende Verallradung. Ein Hecktriebler mit richtiger Achslastverteilung kann sich den Aufwand schenken.

 

Irrtum No.4: Frontantrieb bietet mehr Platz.

"Außen kleiner, innen größer" lautet die lapidare Feststellung in ams 13/2015. Stimmt das? Der Neue ist 38 mm kürzer, dafür aber um 23 mm breiter und um 31 mm höher. Dass sich Breite und Höhe stärker auf die Innenmaße auswirken als die Länge, sollte jedem klar sein, der die vier Grundrechenarten beherrscht. Das wollen wir den Journalisten von ams denn doch nicht unterstellen. Auf der krampfhaften Suche nach Vorteilen des Frontantriebs scheuen sie halt auch nicht davor zurück, die Wahrheit etwas zurechtzubiegen.

 

Irrtum No. 5: Das Exterieur-Design ist mit Frontantrieb gelungener als mit Heckantrieb.

Das trifft auf die beiden X1-Varianten voll und ganz zu. Aber nur, weil die Designer den "alten" X1 total verbockt hatten. Die Proportionen stimmten hinten und vorne nicht; vor allem vorne durch die lange Motorhaube. Hätte man ein stämmigeres Design mit stimmigen Proportionen mit Heckantrieb nicht genauso gut hinbekommen? Ganz sicher, vielleicht sogar noch besser. Denn man hätte die Überhänge noch weiter verkleinern und den Radstand vergrößern können. Damit wären ideale Voraussetzungen für einen X2-Ableger als sportliche Variante geschaffen.

 

Irrtum No 6: Frontantrieb ist billiger.

Das stimmt, zumindest bei der Herstellung. Immerhin entfallen die Kardanwelle und das teure Hinterachsgetriebe. Es gilt aber nur, wenn die Stückzahlen entsprechend hoch sind. Dafür sorgt im Falle des X1 die gemeinsame Plattform mit dem Mini-Countryman.

Es gilt aber auch: Heckantrieb ist billiger als Allradantrieb. Ein "richtig" gemachter Heckantrieb ist billiger, als ein durch Allrad gezwungenermaßen "aufgewerteter" Frontantrieb. Zwei Kriterien sind es, die bei Fronttrieblern eine Verallradung erzwingen: Traktion und Leistung. Traktion wurde bereits erwähnt. Was die Leistung anbetrifft, Frontantrieb verkraftet nur Leistungen bis maximal 150 bis 200 PS. Mit Heckantrieb könnten sämtliche Modelle auch ohne Allrad angeboten werden, und zwar deutlich kostengünstiger.

Ein wesentlicher Gesichtspunkt scheint den BMW-Strategen aber entgangen zu sein. Die Volumenverluste bei den Hecktrieblern verteuern diese. Und es trifft nicht nur die reinen Hecktriebler, sondern auch die vom Heckantrieb abgeleiteten Allradler. X3, X4, die gesamte Dreier- und Viererpalette rauf und runter - alle haben sie darunter zu leiden.

 

Irrtum No. 7: Frontantrieb ist leichter und sparsamer.

Hier gilt das Gleiche wie bei den Kosten. Ein zusätzlicher Allradantrieb wiegt 80 bis 100 Kilogramm, und erhöht den Verbrauch um 0,5 bis 1,0 Liter/100 km. Nebenbei verschlechtern sich die Fahrleistungen.

 

Resümee:

Man kann die Beweggründe von BMW gut nachvollziehen. Erschwingliche Einstiegsmodelle werden immer wichtiger. Die gemeinsame Plattform der Frontantriebs- und Allradmodelle mit den Minis erhöht die Stückzahlen und senkt die Kosten. Ob es ausreicht, die typischen SUV-Kunden für die Marke BMW zu begeistern wird sich zeigen. Die Erfahrungen mit Sports Tourer und Gran Tourer sprechen eher dagegen.

Die typischen BMW-Kunden jedenfalls vergrault diese Frontantriebsschwemme. Sie werden durch diese Politik verraten. Um einen ECHTEN BMW mit Heckantrieb zu fahren, müssten Sie sich in der Dreier-Baureihe umsehen. Die aber sprengt in den Kosten den Geldbeutel und in den Abmessungen die Garage.

Schade, kann man da nur sagen. Zum wiederholten Male versäumt es BMW, den Heckantrieb so zu optimieren, dass seine Vorzüge auch wirklich zur Geltung kommen. Mit fliegenden Fahnen läuft BMW in das Lager der VWs, Audis, Japaner, Koreaner und dem Rest der Welt über. Wer sollte da noch den Premiumzuschlag aufwenden für ein Fahrzeug, das sich von der Masse der Wettbewerber kaum noch unterscheidet?

 

 

Jacob Jacobson 16.06.2015

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