Downsizing Kapitel 2

Downsizing-Hysterie Kapitel 2:   Upsizing - das bessere Downsizing


Eine regelrechte Downsizing Hysterie hat sämtliche Automobilhersteller auf dem ganzen Globus erfasst. Wieso unterbieten sie sich plötzlich mit immer kleineren Hubräumen und immer höheren Ladedrücken?

In Kapitel 1 der Downsizing-Geschichte ging es um die Motive der Autoindustrie.

In Kapitel 2 wollen wir in einem Gedankenexperiment einen virtuellen Saugmotor zum Konkurrenten eines gleichwertigen, hochmodernen Downsizers aufpeppen. Vielleicht gelingt es uns, die spezifischen Vor- und Nachteile besser herauszuarbeiten.


Der BMW Eta-Motor

Am Schluss des ersten Teils stellte sich die Frage, was mehr zur Verbrauchsreduzierung beiträgt: Downsizing oder die Menge an sonstigen verbrauchsreduzierenden Maßnahmen. Um diese Frage zu beantworten blenden wir zurück in die 80er Jahre. Ausgerechnet BMW, der Hersteller von Hochleistungstriebwerken, entwickelte damals einen auf Sparsamkeit getrimmten Motor, den legendären Eta-Motor. Kaum ein Fahrzeug hat jemals die BMW-Fangemeinde so stark polarisiert wie der 325 Eta. Das lag an seiner Leistungscharakteristik, mit der der dynamische BMW-Fahrer nichts anfangen konnte. Als Kind der Benzinkrise war der Motor auf hohes Drehmoment und guten Wirkungsgrad bei niedrigen Drehzahlen ausgelegt. Das ging natürlich zu Lasten der Spitzenleistung mit bescheidenen 95 kW (129 PS) aus 2,7 Liter Hubraum.




 

Damals waren die Sechszylinder-Reihenmotoren von BMW Drehmaschinen der feinsten Sorte. Ab 4.000 U/min setzte der charakteristische Schub ein, und die Motoren jubelten hoch bis 7.000 U/min. Das machte Spaß, rächte sich aber im Verbrauch. Setzte sich nun ein auf diese Charakteristik abonnierter BMW-Fahrer in den Eta, passierte folgendes: Zuerst überraschte ihn der ungewohnt mächtige Durchzug aus niedrigen Drehzahlen. In Erwartung eines Leistungsschubs bei höheren Drehzahlen ließ der Fahrer das Gas stehen, und es kam … nichts. Wenn die anderen BMW-Motoren erst so richtig loslegten, lief der Eta schon in die Drehzahlbegrenzung.



Vergleich 320i - 325e


Die positiven Seiten der Eta-Auslegung kamen erst im Stadt- und Kolonnenverkehr richtig zur Geltung. Neben schaltfaulem Fahren war es vor allem ein niedriger Verbrauch von 7 - 8 Liter/100 km Normalbenzin bei gemäßigter Fahrweise. Damals gegenüber leistungsgleichen Motoren ein Vorteil von mindestens 20 Prozent.

Diese Werte wurden mit einer für heutige Verhältnisse primitiven Technik erreicht. Eine (1) obenliegende Nockenwelle, zwei Ventile pro Zylinder, Kipphebel ohne Rollen, Saugrohreinspritzung, keine Aufladung, kein VANOS, keine Valvetronic. Die Anstrengungen richteten sich auf eine gute, verlustfreie Füllung bei niedrigen Drehzahlen und auf die Optimierung der Motorreibung.

Was könnte man allein durch die Anwendung aller in Teil 1 genannten Maßnahmen an weiterer Verbrauchsreduzierung erreichen? Bestimmt eine zusätzliche Absenkung um mindestens 20 bis 30 Prozent. Ein Praxisverbrauch von 6 bis 7 L/100 km ist problemlos zu erreichen. Die Steuerzeiten-Verstellung sorgt zudem für ein breiteres nutzbares Drehzahlband, und eliminiert das Phänomen der Leistungsverweigerung im oberen Drehzahlbereich.

Leider sind 97 kW (129 PS) für einen Sechszylinder nicht mehr zeitgemäß. Er muss sich mit einem leistungsstarken, aufgeladenen Vierzylinder vergleichen, z.B. mit einem der neuesten Exemplare aus der Downsizing-Fraktion, dem Vierzylinder-Motor des 428i. Der erreicht eine Leistung von 180 kW (245 PS).


 

Leistungsvergleich 325e mit 428i


In der täglichen Praxis genehmigt sich dieser Zweiliter Vierzylinder etwa 9,3 L/100 km. BMW gibt für den ECE-Zyklus einen Verbrauch von 6,7 L/100 km an - eine Differenz von fast 40 Prozent. Die große Differenz rührt daher, dass die Downsizing-Motoren primär auf den ECE-Zyklus ausgelegt sind und nicht auf den automobilen Alltag. Außerdem gilt, je höher die Leistung, desto größer die Differenz zwischen Prüfstand und Straße.

Diesen Praxisverbrauch wollen wir dem Saugmotor auch zugestehen. Wir haben also eine Verfügungsmasse von 3 L/100 km, die wir für die Leistungssteigerung einsetzen können. Die erste Überlegung ist, den Eta soweit aufzubohren, bis er dieselbe Leistung von 180 kW erreicht. Nach Adam Riese ergibt das einen Hubraum von 5,2 Litern, bei einem Zylinderhubraum von 0,85 Litern. Das ist zu viel des Guten. Ein akzeptabler Zylinderhubraum wären 0,75 Liter, was einen Gesamthubraum von 4,5 Litern ergibt. Rechnet man mit dem Hubraumverhältnis von 4,5 zu 2,7 die Leistung hoch, dann erhält man eine Spitzenleistung von ca. 160 kW: rote Kurve im Diagramm.



 


Ebenfalls im Diagramm eingezeichnet ist der letzte Stand der Saugmotorentechnik bei BMW, der N52 B30, ein Dreiliter-Sechszylinder mit 190 kW (Kurve magenta). Jetzt müssen wir "nur" noch den Eta 4,5 Liter mit der Technologie des N52 B30 verheiraten, und voilá, schon haben wir einen virtuellen N52 B45 (rote Kurve).


 



Leistungsmäßig haben wir mit dem aufgeblasenen Vierzylinder beinahe gleichgezogen. Aber, wie sieht es mit dem Verbrauch aus?


Verbrauch Sauger vs. Turbo

Interessiert sich jemand für den ECE-Verbrauch? Außer den Herstellern natürlich, die auf ihren Flottenverbrauch achten müssen. Und ein paar Unbedarften, die sich von diesen Werten verar blenden lassen. Entscheidend ist auf der Straße, nicht auf dem Prüfstand. Bei der Schätzung des Verbrauchs gehen wir ebenso vor wie bei der Leistung. Wir nehmen die gemessenen Werte des N52 B30 und übertragen sie auf den fiktiven N52 B45.




Warum verbraucht der N52 B45 deutlich weniger als der N52 B30? Ursachen sind die niedrigere Literleistung und das höhere Drehmoment bei niedrigen Drehzahlen. Die tagtäglichen Allerweltsfahrten finden deshalb überwiegend im Bereich ausgezeichneten Wirkungsgrades statt.

Im direkten Vergleich mit dem downgesizeten Zweiliter-Aggregat kann der 4,5 Liter Saugmotor eine Reihe von Verbrauchsvorteilen vorweisen:

Der Motorraum läuft kühler.

Der Kühlaufwand ist insgesamt geringer.

Niedrigerer Luftwiderstand durch kleinere Kühlöffnungen.

Der Abgasstrom wird nicht durch einen ATL behindert.

Die Längen der Auspuffkrümmer können optimal abgestimmt werden. Optional ist eine 6 in 3 in 1 Anlage möglich.

Die Saugrohrlängen werden auf Stoßaufladung optimiert. Mit ATL nicht möglich.

Diese Vorteile kompensieren weitgehend die Nachteile der höheren Motorreibung und des schlechteren Zylinder-Wirkungsgrads.


Kostenvergleich

Kostenvorteile des Sechszylinder Saugmotors gegenüber aufgeladenem Vierzylinder:

Keine Ausgleichswellen

Kein ATL mit Schläuchen und Ladeluftkühler.

Weniger Kühlaufwand.

Geringere Temperaturbelastung der Bauteile im Motorraum

Zwei Zylinder mehr sind bestimmt nicht kostspieliger als der Aufwand des Downsizings. Noch dazu bekommen wir es in Zukunft mit immer aufwendigeren Ladetechniken zu tun, als da sind Biturbo, Dreifachlader, Kaskaden-Aufladung, elektrischer Zusatzlader, Twin-Scroll-Technik, variable Turbinengeometrie usw. Das spricht kostenseitig für den Sauger.


Platzbedarf

Ein 4,5 Liter Sechszylinder baut naturgemäß länger und höher als ein 2,0 Liter Vierzylinder. In Modellen, in denen neben dem Vierzylinder auch ein aufgeladener Sechszylinder zum Einsatz kommt, spielt die größere Länge keine Rolle. Die Aufladung ist mindestens so platzraubend wie die größeren Bohrungen. Ein paar Millimeter mehr Bauhöhe durch den größeren Hub sind kein unlösbares Problem. Die gesamte Motorhöhe ist im Wesentlichen durch andere Elemente bestimmt.


Skalierbarkeit

Mit großvolumigen Saugmotoren lässt sich ebenso eine Motorenfamilie aufbauen wie mit Downsizing. Statt den Hubraum zu reduzieren werden Steuerzeiten und Ansauggeometrien modifiziert. Unter Umständen kann man auf Vierventiltechnik und Doppel-VANOS verzichten. Eine günstige untere Leistungsstufe beim Sechszylinder wären 150 kW.

Aus dem 4,5-Liter Sechszylinder lässt sich bequem ein 3-Liter Vierzylinder mit zwei Leistungsstufen ableiten: 120 kW und 100 kW.

Wenn das nicht reicht, schneidet man einfach drei Zylinder ab und erhält einen Dreizylinder mit einem Hubraum von 2,25 Litern.

Auch nach oben ist Luft für einen Achtzylinder mit 6 Litern Hubraum. Leistungen 250 und 200 kW.

Jeder Hubraum kann zusätzlich durch eine leistungsgesteigerte Variante ergänzt werden.

So könnte eine Saugmotor-Familie aussehen:





Advantage Saugmotor ?

Gleiche Leistung, ähnlicher Verbrauch, etwas niedrigere Kosten - das allein reicht nicht aus, dem Downsizing gefährlich zu werden. Der Saugmotor kann aber noch weitere Vorzüge ins Feld führen.


Ansprechverhalten

Wer Diesel fährt kennt das Phänomen: Aus dem Stand oder aus dem Gleiten bei niedriger Last und Drehzahl abrupt das Fahrpedal durchtreten -   bis sich da nennenswert etwas tut in Richtung Vortrieb, das dauert gefühlte Sekunden. Absenkung der Leerlaufdrehzahlen und Reduzierung der Motorreibung vergrößern das Problem. Bei aufgeladenen Benzinmotoren tritt der Effekt noch stärker in Erscheinung. Dieselmotoren mit der offenen Drosselklappe setzen auch im Leerlauf, im niedrigen Teillastbereich und im Schubbetrieb bei niedrigen Drehzahlen relativ viel Luft durch, was den Lader wenigstens etwas bei Laune hält. Die Drosselklappe bei Benzinmotoren reduziert den Luftdurchsatz in diesen Betriebszuständen, sodass der Lader fast vollständig einschläft. Eine weitere Verschärfung tritt ein bei zukünftigen Technologien wie Segeln und Zylinderabschaltung.

Die Entwickler stecken deshalb viel Energie und Aufwand in die Überwindung des Turbolochs. Die wichtigsten Techniken wurden bereits genannt: Biturbo, Kaskaden-Aufladung, elektrischer Zusatzlader, Twin-Scroll-Technik, variable Turbinengeometrie. Damit gelingt es, die berüchtigte Gedenksekunde erheblich zu verkürzen, aber nicht, sie vollständig zu eliminieren. Bei jeder neuen Downsizing-Motorengeneration berichten die Autojournalisten begeistert vom verbesserten Ansprechverhalten gegenüber dem Vorgängermodell. Das beweist aber nur, dass es bisher doch nicht ganz optimal war. Außerdem kommt es stark darauf an, wie man unterwegs ist: Sportlich auf Landstraßen,  Autobahnen  oder Rennstrecken gibt es kein Problem. Im täglichen Stop and Go oder Kolonnenverkehr verwünscht man mindestens einmal am Tag das zögerliche Beschleunigen insbesondere in Verbindung mit Wandlerautomatik.

Junge Journalisten haben die Downsizing-Charakteristik bereits soweit verinnerlicht, dass sie sich damit bereits abgefunden haben. Setzt sich ein solcher dann in ein Fahrzeug mit großvolumigem Saugmotor, stellt er fest, was ihm alles entgangen ist: Das spontane Ansprechen vulgo "Schlag ins Kreuz". Vom Dodge Challenger berichtet AutoBild vom 21.08.2015: "Bereits der kleinste Gasstoß hebt den Bug Richtung Himmel - und die kleinen Härchen auf dem Arm des Fahrers gleich mit." Im krassen Gegensatz dazu heißt es an gleicher Stelle zum BMW 428i: "Das ist das Problem des 428 i. Er wirkt geschliffen, künstlich, profan wie ein Allerweltsmotor." Kein Kompliment für einen Hersteller, der sich vom Rest der Welt durch herausragende Motortechnik unterscheiden will. Und durch die viel beschworenen Emotionen.


Motorsound

Noch ein emotionales Thema, der Motorsound. Kann man beim Laufgeräusch von aufgeladenen Vierzylindermotoren überhaupt von "Sound" sprechen? Handelt es sich beim Klang dieser Aggregate nicht vielmehr um eine unangenehme aber unabdingbare Begleiterscheinung? Wer in der Vergangenheit (also vor Downsizing) viel mit Reihensechszylindern aus dem Hause BMW unterwegs war, weiß wovon die Rede ist. Vom begeisternden, inspirierenden, emotionalen Sound dieser Motoren über den gesamten Drehzahlbereich - dieser NICHT aufgeladenen Motoren, muss man hinzufügen. Und ganz authentisch, ohne künstliche Nachhilfe durch Soundgeneratoren, wie uns  die Akustikexperten zukünftig das Klangbild der Downsizer vorgaukeln wollen. Aber das pass exakt: zum gefaketen Hubraum auch der gefakete Klang.


Potentiale des Saugmotors

Der Saugmotor als idealer Partner des Elektroantriebs beim Plug-In-Hybrid? Wenn es um Plug-In-Hybride geht, machen alle Automobilhersteller den gleichen Fehler. Sie kombinieren einen höchst aufwendigen Downsizing-Motor mit einem eher schwach dimensionierten Elektromotor. Das macht das Paket unnötig teuer. Wesentlich geschickter ist es, die beiden Antriebsarten so zu betreiben, dass jede für sich ihre Stärken einbringen kann. Die Stärke des Verbrennungsmotors ist das Cruisen, die Elektromaschine hingegen liebt das Beschleunigen. Was liegt also näher, als den Verbrennungsmotor auf optimales Verhalten bei niedrigen Drehzahlen auszulegen, und die Elektromaschine mit hoher Leistung auszustatten.

Ein Verbrennungsmotor mit einer Charakteristik wie ein Stationärmotor benötigt keine Aufladung, kein VANOS und keine Valvetronic, ja nicht einmal vier Ventile pro Zylinder. Im Gegenteil, Aufladung ist in diesem Fall sogar kontraproduktiv. Eine derartige "Schlankheitskur" verringert die Kosten des Pakets ganz entscheidend, ohne die Gesamtperformance zu schmälern.

Ein weiteres Reduzierungspotential steckt im Getriebe. Ein richtig ausgelegter Plug-In-Hybrid kann auf ersten Gang, Rückwärtsgang, den siebten, und alle weiteren Gänge verzichten.

(Das Thema Plug-In-Hybrid wird demnächst in einem eigenen Artikel behandelt.)


Wie geht´s weiter?

Keine Angst, liebe Downsizing Experten. Niemand muss um seinen Job bangen. Eine Renaissance des Saugmotors wird es nicht geben. Dazu ist die Situation bereits viel zu sehr verfestigt. Außerdem gibt es noch viiieel zu entwickeln und zu optimieren (verschlimmbessern?). Neben den verschiedenen  Ladeprinzipien gibt es da noch die variable Verdichtung, Getriebe mit neun und zehn Gängen, Zylinderabschaltung, Magerkonzept, Mikrowellenzündung und ähnliches. Die Komplexität lässt sich noch in ungeahnte Höhen steigern.

Man kann der deutschen Premium-Autoindustrie nur wünschen, dass sie sich nicht selbst mit High-Tech-Overkill ins Abseits befördert. Erste Anzeichen sind bereits unverkennbar. Z.B. die Liebe zu puristischen Oldtimern. Oder zu kleinen, praktischen Fahrzeugen bei der Generation 60Plus. Oder die zunehmende Verweigerung der jungen Menschen, an der automobilen Aufrüstung teilzunehmen. Oder die steigende Beliebtheit einfacher, preisgünstiger Modelle. Eine weitere Gefahr droht aus Fernost, sollte es einem Hersteller einfallen, das Potential des Saugmotors konsequent auszuschöpfen und entsprechende Fahrzeuge anzubieten.

Wie heißt es so schön: Nach der Krise ist vor der Krise.



Jacob Jacobson 08.09.2015

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