Der Autokritiker
Jacob Jacobson
puristisch - kritisch - anregend
Was bringt die Start-Stopp-Automatik - außer Ärger?
Die Historie
Wer ist schuld am Elend mit der umstrittenen Start-Stopp-Automatik? BMW! Ausgerechnet BMW. Im Gefolge der Wirtschafts- und Finanzkrise formulierten die BMW-Leute ihren bekannten Slogan um. "Aus Freude am Sparen" tönte es plötzlich aus München. Sie überraschten den Markt mit dem großflächigen Einsatz von technischen Neuerungen zum Kraftstoffsparen, zusammengefasst unter dem Begriff "Efficient Dynamics". Darunter verbargen sich Maßnahmen wie die Rekuperation mit dem Bordnetz, eine elektromechanische Lenkung und auch die besagte "Start-Stopp-Automatik" (SSA).
Dabei war BMW nicht der Erste auf dem Markt mit diesem Feature. Nach der 2. Ölkrise 1979 entstanden bei VW Fahrzeuge wie der Öko Golf und der 3-Liter-Lupo. Bereits damals waren beide Fahrzeuge in der Lage, den Motor im Stand automatisch abzustellen. Obendrein ausgerüstet mit einer automatisierten Kupplung, konnten sie den Motor von den Rädern entkoppeln und sogar während der Fahrt abstellen. Allerdings blieb die SSA auf die genannten Öko-Fahrzeuge beschränkt und schaffte nicht den Sprung in die gesamte VW-Flotte.
BMW favorisierte einen anderen Ansatz. Sie konstruierten keine extremen Kraftstoffsparmodelle mit automatisierter Kupplung und sonstigen gewöhnungsbedürftigen Features. Dafür ließen sie die Sparmethoden in die normalen Volumenmodelle einfließen. Ein Geniestreich. Damit waren sie der Konkurrenz einen großen Schritt voraus. Sie schafften es, Dynamik mit Effizienz zu kombinieren, zumindest in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit. Da konnte der Wettbewerb nicht lange tatenlos zusehen, und so hielten die BMW Methoden mehr oder weniger schnell bei den meisten Herstellern Einzug in ihre Modelle; z.B. die elektromechanische Lenkung, und eben auch die SSA, das Abschalten des Motors im Stand.
Was bringt sie denn nun, die SSA? Hier müssen wir zwei Fälle unterscheiden.
Der NEFZ
Der Neue Europäische Fahr-Zyklus ist alles andere als neu. Er löste vor über 20 Jahren die damals gebräuchliche Methode ab, den sog. Drittelmix. Fast ebenso lange besteht heftige Kritik am NEFZ, denn er führt zu Verbrauchswerten, die der Kunde im automobilen Alltag teilweise um mehr als 50 Prozent überschreitet. (siehe Verbrauchseinflüsse) Die Tricks der Hersteller beim NEFZ rückten erst in den Fokus der Öffentlichkeit beim VW-Abgasskandal. Allerdings wird häufig nicht mehr unterschieden zwischen den völlig legalen und den kriminellen Methoden.
Man kann denn Herstellern das Streben nach niedrigen NEFZ-Werten nicht verübeln, schließlich wird daraus der Flottenverbrauch ermittelt. Die von der EU-Kommission vorgegebenen Grenzwerte für Abgas und Verbrauch (CO2) sind ausgesprochen ambitioniert, und machen vor allem den deutschen Premiumherstellern schwer zu schaffen. Würde man, unter Beibehaltung der Grenzwerte, eine realistischere Messmethode einführen, würden einige deutsche Hersteller die Grenzwerte deutlich überschreiten. Da versteht man auch das Zögern der deutschen Politik, den NEFZ abzuschaffen und durch einen realistischeren Zyklus zu ersetzen. Französische, japanische, koreanische und viele andere hätten mit schärferen Grenzwerten kein Problem.
Der Stadtzyklus wird viermal durchlaufen, der Überlandzyklus einmal. Die Gesamtzeit des NEFZ beträgt 1180 Sekunden. Davon steht das Fahrzeug mit dem Moto im Leerlauf 280 Sekunden, das entspricht 24 Prozent. Die Durchschnittsgeschwindigkeit des NEFZ liegt bei 34 km/h.
Beispiel 1: Dieselmotor mit niedriger Leistung:
Ein moderner Dieselmotor in der Größenordnung von 100 bis 150 PS hat einen Leerlaufverbrauch von etwa 0,5 Liter pro Stunde. Den Verbrauch im NEFZ nehmen wir mit 5 L/100 km an. Um 100 km zurückzulegen bräuchte man mit NEFZ-Geschwindigkeit etwa drei Stunden. Davon 24 Prozent wären 0,72 Stunden. Die Verbrauchseinsparung liegt somit bei etwa 0,36 L/100 km ≙ 7 %.
Beispiel 2: Benzinmotor mit hoher Leistung:
Das andere Ende der Verbrauchs-Fahnenstange markieren Benzinmotoren mit hoher Leistung. Im NEFZ kommen sie teilweise auf 10 L/100 km. Der Leerlaufverbrauch beträgt etwa 1,5 Liter pro Stunde. Umgerechnet ergibt das Abstellen des Motors eine Einsparung von ca. 1 L/100km ≙ 10 %.
Eine Reduzierung des Verbrauchs um 7 bis 10 Prozent im NEFZ ist für die Hersteller ein unbezahlbarer Vorteil. Die entscheidende Frage lautet: Wie viel davon kommt beim Kunden an?
Der Praxisverbrauch
Die Durchschnittsgeschwindigkeit der deutschen Autofahrer beträgt ca. 55 km/h. Sie setzt sich - grob geschätzt - folgendermaßen zusammen:
45 Prozent Stadtanteil auf eine Stunde umgerechnet entsprechen 27 Min, also eine knappe halbe Stunde. Ungefähr 10 Minuten davon setzen wir als reine Standzeit an, das entspricht 0,17 Stunden.
Beispiel 1: Dieselmotor mit niedriger Leistung: Ein Leerlaufverbrauch von 0,5 L/h ergibt eine Kraftstoffeinsparung von 0,085 Liter/100 km bzw. 1,7 Prozent.
Beispiel 2: Benzinmotor mit hoher Leistung: Ein Leerlaufverbrauch von 1,5 L/100 km reduziert den Verbrauch um 0,255 L/100 km bzw. 2,6 Prozent.
Damit sind wir aber noch weit von realistischen Praxiswerten entfernt. Denn die SSA funktioniert nur unter bestimmten Randbedingungen. Oder besser gesagt, sie funktioniert sehr häufig nicht bei bestimmten Bedingungen, z.B. in der Warmlaufphase, bei eingeschalteter Klimaanlage, bei kalten Temperaturen, bei schwacher Batterie, bei hoch belastetem Bordnetz und diversen anderen Kriterien. Man kann guten Gewissens von der aktiven Zeit 50 Prozent abziehen.
Nächste Probleme: Elektrische Verbraucher leben bei abgeschaltetem Motor aus der Batterie. Die Batterie muss anschließend wieder nachgeladen werden. Der Wirkungsgrad dabei beträgt etwa 80 Prozent gegenüber der Versorgung durch den Generator direkt. Auch der Starter zieht etwas Strom aus der Batterie, der ebenfalls ergänzt sein will - nochmals 10 Prozent Verlust.
Damit kommen wir zum Endergebnis Praxisverbrauch:
Beispiel 1: Dieselmotor mit niedriger Leistung:
35 Prozent von 0,085 L/100 km ergeben 0,03 L/100 km bzw. 0,6 %.
Beispiel 2: Benzinmotor mit hoher Leistung:
35 Prozent von 0,255 L/100 km ergeben 0,09 L/100 km bzw. 0,9 %.
Das Ergebnis entlarvt eindeutig die SSA als reine Prüfstands-Angelegenheit ohne zählbaren Kundennutzen.
Die SSA im Alltag
Die SSA verfügt über einen Ausschaltknopf. Das hilft allerdings nur bis zum nächsten Neustart, denn dann ist das lästige Ding sofort wieder aktiv. Eine überaus ärgerliche Bevormundung des Fahrers. Warum kann man den Spieß nicht umdrehen und es dem Fahrer überlassen, ob er das Feature nutzen will oder nicht? Das geht leider nicht, weil es die Richtlinien des NEFZ nicht zulassen. Systeme und Methoden die beim NEFZ aktiv sind, müssen bei jedem Neustart aktiviert werden. Wenn sich das blöde Ding wenigstens über den Bordcomputer ein für alle Mal stilllegen ließe! Aber nicht einmal das ist erlaubt.
Es soll tatsächlich Kunden geben, die die SSA schätzen gelernt haben. Meistens handelt es sich um Pendler mit viel Stau im Berufsverkehr. Sie empfinden es als angenehm, nicht selbst den Motor bei jedem Halt selbst ausschalten zu müssen. Die könnten sich eine SSA las Sonderausstattung zulegen und bei Bedarf jederzeit einschalten und nutzen.
Kollateralschäden der SSA
Wieviel Aufwand würden die Hersteller wohl treiben, um den Verbrauch im Alltagsbetrieb um ein einziges Prozent abzusenken?
Die Antwort auf obige Frage fällt also leicht. Nie und nimmer würden die Hersteller für 1 Prozent Einsparung diesen Aufwand treiben.
Die Zukunft der SSA
Der Verbraucher hat ein Recht darauf, realistische Angaben über den Kraftstoffverbrauch von den Herstellern zu bekommen. Darin sind sie sich plötzlich einig, die "Experten" aus Industrie, Politik und Medien. Ermuntert durch den VW Skandal trauen sie sich aus der Deckung und verteufeln den NEFZ und seine unrealistischen Werte. Vorher veröffentlichten sie munter die von den Herstellern gelieferten NEFZ-Werte, egal ob Focus, Stern oder Spiegel. Lediglich ams und AutoBild geben sich redlich Mühe, realistische Verbrauchswerte durch aufwendige Straßentests zu ermitteln.
Man kann absehen, dass der NEFZ durch ein praxisnahes Prüfprogramm abgelöst wird. Bei diesem macht die SSA keinen Sinn mehr. Hoffentlich haben die Hersteller ein Einsehen, und nehmen dieses Feature wieder aus den Fahrzeugen raus, oder überlassen es wenigstens dem Fahrer, ob er es nutzen will oder nicht.
Eher unwahrscheinlich ist die Ausweitung der SSA auf ein Abschalten des Motors auch bei Fahrt. Dazu braucht man eine Möglichkeit, den Motor vom Antriebsstrang abzukoppeln und den Zustand des Segelns herbeizuführen. Über das Segeln berichtet demnächst ein weiteres Kapitel der Kraftstoff-Sparmethoden.
Man kann nur hoffen, dass die Politik zukünftig die Hersteller in die Pflicht nimmt, ihre Fahrzeuge für den Kunden auszulegen und nicht für den Prüfstand.
23.04.2016 Jacob Jacobson
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