12.02.2016: BMW 225xe Active Tourer

Der Autokritiker

Jacob Jacobson

puristisch - kritisch - anregend

BMW 225xe Active Tourer: Soo! muss Hybrid!

 

"Na also, geht doch!" lautet der überraschende Kommentar des Autokritikers zur neuesten Kreation von BMW, einem Plug-In-Hybrid mit dem Namen 225xe Active Tourer. Welche Besonderheit verbirgt sich dahinter, dass es dem in der Wolle gefärbten Skeptiker eine derart positive Reaktion entlockt? Das bedarf dringend einer eingehenden Betrachtung.

 

Das Konzept

Wie der Name "Hybrid" bereits ahnen lässt, verfügt das Modell über zwei getrennte Antriebssysteme. Einen konventionellen Verbrennungsmotor an der Vorderachse, und einen Elektroantrieb an der Hinterachse. Schematisch sieht die Anordnung so aus:

Warum setzt ausgerechnet BMW dieses Konzept in die Tat um? Ist doch Frontantrieb, abgesehen vom Mini, bei BMW ein jüngeres Kapitel des Unternehmens. Und wie dem interessierten Leser dieser Seiten nicht verborgen blieb, ein heftiger Kritikpunkt des Autokritikers. Woher der Sinneswandel? Oder ist es vielleicht doch kein Verrat am Heckantrieb?

 

Technische Daten und Eigenschaften im Vergleich

Vergleichen wir zunächst die technischen Daten mit dem 218iA und dem 225ixA. Vom 218i stammt der Verbrennungsmotor, der 255ixA ist das Pendant ohne Elektroantrieb, also der direkte Konkurrent im eigenen Hause.

Der Hybrid hat Allrad, fast die gleiche Leistung wie der 225ix, und kostet 1.300 Euro weniger. Er ist um 150 Kilogramm schwerer, der Elektromotor mit seinem Drehmoment kompensiert das Gewicht bei der Beschleunigung. Die Endgeschwindigkeit liegt auf dem Niveau des 218i, denn der Elektroantrieb trägt nichts dazu bei. Er kann seine Leistung nur kurzzeitig abgeben, sonst würde er überhitzen.

Wie steht es um den Verbrauch? Die ECE-Werte sind zum Vergleich unbrauchbar. Besser man geht her, und schätzt zunächst den Verbrauch ohne Beteiligung der Elektromaschine. Der ECE-Verbrauch wird etwas über dem des 218iA liegen, schätzungsweise bei 5,5 L/100 km. Rekuperation kann diesen Unterschied wettmachen. Die elektrische Energie für die Beschleunigungen stammt größtenteils ebenfalls aus der Rekuperation, sodass die beiden im Verbrauch etwa gleichauf liegen. Jedenfalls liegt der Verbrauch deutlich unter dem 225 ix. Denn der Verbrauch steigt mit steigender Nennleistung. (Siehe http://der-autokritiker.de/technik/verbrauchseinflüsse.html) Außerdem erhöhen beim konventionellen Allrad die zusätzlichen Getriebe den Verbrauch ganz beträchtlich.

Aber das ist nicht der einzige Vorteil dieses Konzepts. Der Elektroantrieb ermöglicht eine ganze Palette unterschiedlicher Antriebsmodi. Man kann ihn nutzen, um entweder verbrauchsgünstig zu fahren oder sportlich. Man kann batterieschonend fahren, um für Mautzonen mit einer vollgeladenen Batterie gerüstet zu sein. Man kann aber auch die Batterie soweit wie möglich leer nuckeln, um sie zuhause mit günstigem Strom aufzuladen. Zu guter Letzt kann man natürlich die beiden Triebwerke unabhängig voneinander betreiben.

 

Entwicklungspotentiale

Der Autokritiker würde seinem Ruf nicht gerecht, wenn er nicht mit ein paar Verbesserungsvorschlägen aufwarten könnte.

Da wäre z.B. die elektrische Reichweite von 41 Kilometern. Das kann für Ein- und Ausfahrt einer Mautzone knapp werden. Besser wäre eine Reichweite von ca. 60 Kilometern. Wir wissen natürlich, dass damit die Batterie noch schwerer wird als ohnehin. Zum Glück wirkt das Mehrgewicht hauptsächlich auf die Hinterachse.

Bei der Elektromaschine würden wir uns mehr Leistung wünschen, z.B. 120 bis 150 PS. Zusammen mit der höheren Hinterachslast würde bei sportlicher Fahrweise der Heckantriebscharakter noch stärker betont.

Die massivsten Änderungen betreffen aber den Verbrennungsmotor. BMW verwendet den Motor aus dem 218i ohne Modifikationen. Das ist zwar vom Baukastenprinzip her richtig gedacht, verhindert aber einen weitergehenden Einspareffekt. Der Autokritiker ersetzt den Dreizylinder Downsizing-Motor durch einen Vierzylinder-Saugmotor mit größerem Hubraum und gleicher Leistung. Dieser ist perfekt abgestimmt auf ein hohes Drehmoment und einen bestmöglichen Wirkungsgrad bei niedrigen Drehzahlen. Mit entsprechenden Ventilerhebungen, Steuerzeiten und abgestimmten Saugrohr- und Auspufflängen. Dazu noch die passende Verdichtung (Mazda schafft 14 : 1), und schon liegt der Bestpunkt deutlich über dem eines Turboladermotors. Nocken- und Ventilverstellungen können entfallen, ebenso wie der Turbolader mitsamt seinen Schläuchen und Ladeluftkühlern. Das senkt Gewicht auf der Vorderachse und vor allem Kosten. Das breite Drehmoment Plateau eines Turbomotors fehlt natürlich - macht nichts! Die Elektromaschine gleicht das spielend aus.

Wie wirkt sich das auf den Verbrauch aus? Grob geschätzt, sinkt der Verbrauch um weitere 10 Prozent, also auf rund 5,0 L/100 km.

 

Zylinderabschaltung

Wem dieser Verbrauch noch zu hoch ist, der kann sich einen weiteren Tricks bedienen, der Zylinderabschaltung. Wenn zwei Zylinder ausreichen, um in der Stadt oder auf der Landstraße in der Kolonne mit relativ konstanter Geschwindigkeit zu dahin zu bummeln, der kann auch zwei Zylinder abschalten. Die beiden anderen arbeiten dann mit einem besseren Wirkungsgrad. Geschätzte Einsparung weitere 10 Prozent, womit wir schon unter den Verbrauchswerten vergleichbarer Dieselaggregate zu liegen kommen.

Hinweis: Einzelheiten der Zylinderabschaltung werden demnächst auf diesen Seiten unter der Rubrik "Technik" im Detail vorgestellt.

 

Elektromechanischer Kompressor

Nennleistung kostet Kraftstoff, egal ob Saug- oder Turbomotor. Es sei denn, man lässt den Saugmotor in seinen Grundzügen unverändert, und bläst ihm die Luft nur bei Bedarf ein - beim Beschleunigen. Diese Methode wirkt sich auf den Verbrauch nicht aus, kann aber die Leistung des Verbrennungsmotors auf ca. das Doppelte anheben. Das Drehzahl- und Leistungsniveau des Basis-Saugmotors kann sogar weiter abgesenkt werden, zugunsten von Drehmoment und Verbrauch.

 

Zusammenfassung der Entwicklungspotentiale:

 

 

 

Getriebe

Acht-, Neun und Zehnganggetriebe sind mittlerweile Standard in der Mittel- und Oberklasse. Bei dem Hybridkonzept kann man sich den 1. Gang und den Rückwärtsgang schenken. Den Vortrieb beim Anfahren und Rangieren übernimmt der Elektromotor. Er ist ohnehin besser regelbar.

Statt einer aufwendigen Wandlerautomatik oder eines nicht minder aufwendigen Doppelkupplungsgetriebes reicht ein sequentielles Schaltgetriebe mit automatischer Kupplung. Zugkraftunterbrechungen überspielt die Elektromaschine. Sechs Gänge + elektrischem 1. Gang reichen völlig aus.

 

Kostenbetrachtung

Kostenmehrung: Zylinderabschaltung, Elektromotor, Batterie, elektromechanischer Kompressor.

Kostenentfall: Turbolader mit Ladeluftkühler und Schläuchen, Ventilverstellung, Nockenverstellung, 1. Gang, Rückwärtsgang, Wandlerautomatik resp. Doppelkupplungsgetriebe.

Den Kosten für den Elektroantrieb können wir einen stattlichen Betrag aus der Vereinfachung des Verbrennungsmotors und des Getriebes gegenrechnen.

 

Supercaps

Energie speichern und wieder abgeben, das können nicht nur Akkumulatoren sondern auch Kondensatoren. Als Ersatz für die teuren Lithium-Ionen-Batterien eignen sich sog. Supercaps oder Ultracaps. Sie können ohne große Verluste hohe Leistungen aufnehmen und wieder abgeben, und zwar beliebig oft ohne Alterung oder Leistungseinbußen. Außerdem sind sie wesentlich leichter und kostengünstiger. Ihr einziger Nachteil ist die geringe speicherbare Energiemenge. Sie eignen sich deshalb besonders für Fahrzeuge mit Schwerpunkt Fahrdynamik. Dagegen beschränkt sich die elektrische Reichweite auf wenige hundert Meter.

Mit Supercaps statt Batterien würden das Gewicht um mindestens 150 Kilogramm und die Kosten um ca. 3.000 Euro sinken.

 

Hybridantrieb vs. Elektroantrieb

Wozu braucht man noch einen reinen Elektroantrieb, womöglich mit Range-Extender, wenn der Hybridantrieb dessen Probleme elegant löst? Reichweite ist kein Thema. Heizung und Klimatisierung besorgt der Verbrennungsmotor und gehen nicht zu Lasten der Batteriekapazität. Kostengünstiger ist er in Summe auch noch. Die reinen E-Mobile gehen schweren Zeiten entgegen.

 

Baukastenstrategie

Kein Hersteller kommt heutzutage ohne schlüssige Baukasten-, Plattform- und Modulstrategie aus. Deshalb besteht ein ganz entscheidender Aspekt dieses Konzepts darin, dass die Vorderachse einschließlich Antrieb unverändert vom reinen Frontantrieb übernommen werden kann. Sie wird lediglich durch eine elektrifizierte Hinterachse ergänzt, welche dann ihrerseits universell einsetzbar ist.

Die BMW-Strategen wären schlecht beraten, wenn sie sich die Eignung dieses Konzepts für andere Modellreihen entgehen ließen. Natürlich lässt sich dieser Allrad-Hybrid-Antrieb auch in SUVs problemlos einsetzen, hier macht er sogar besonders viel Sinn. Verwendet man statt einer einzelnen Elektromaschine deren zwei, ist sogar Torque Vectoring an der Hinterachse möglich. Das sorgt für eine weitere Verbesserung der Fahreigenschaften. Der Einsatz in Standard-Limousinen hingegen bereitet Schwierigkeiten bei der Unterbringung der Batterien. Passagierabteil und/oder Kofferraum werden bestimmt stark eingeschränkt.

 

Eignung für Dieselfahrzeuge

Mit diesem Konzept macht der Benzinmotor den Dieselmotoren im Verbrauch heftige Konkurrenz. Prinzipiell lässt sich natürlich auch ein Dieselmotor mit der elektrifizierten Hinterachse verheiraten. Die Vorteile fallen nur nicht ganz so gravierend aus. Und auch auf der Kostenseite ergibt sich ein Problem, denn zu den ohnehin schon hohen Kosten für den aufwendigen Dieselmotor gesellen sich jetzt noch die Kosten für den Elektroantrieb. Auch die jüngsten Probleme des Selbstzünders mit den Abgasen könnten dem Benzinmotor in die Hände spielen.

 

Warum BMW?

Zum Schluss stellt sich die Frage, warum ausgerechnet BMW die Vorreiterrolle bei diesem Konzept spielt. Wären nicht die traditionellen Frontantriebhersteller geradezu prädestiniert für diese Anordnung? Vielleicht ist hier BMW der Konkurrenz um eine Nasenlänge voraus, wie schon so oft im Laufe der Geschichte. Wenn BMW das Konzept konsequent umsetzt und weiterentwickelt, verzeiht ihnen der Autokritiker sogar den Frontantrieb - zumindest teilweise. Und das will etwas heißen.

 

 

12.02.2016 Jacob Jacobson

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