Modernes Design: Hilfe, die Nasenbären sind los!

Der Autokritiker

Jacob Jacobson

puristisch - kritisch - anregend

Modernes Design: Hilfe, die Nasenbären sind los!

 

"Gelungenes Design beginnt bei den Proportionen." So äußerte sich sinngemäß Walter de Silva vor Jahren. Hat er damit nicht recht!? Als Chefdesigner von Audi sah er es damals als seine wichtigste Aufgabe an, die Konzept-bedingte optische Kopflastigkeit der Audi-Fahrzeuge abzumildern. In dieser Mission war er ein vehementer Befürworter des kostspieligen modularen Längsbaukastens, der die Vorderachse etwas weiter nach vorne brachte.

 

Inzwischen fordert der Zeitgeist seinen Tribut - in Form von Downsizing. Downsizing vergrößert den Vorbau. Moment! Downsizing heißt doch Verkleinern, mehr Leistung aus kleineren Motoren mit weniger Platzbedarf. Richtig, das gilt aber nur für die Maschine selbst. Die Peripherie bestehend aus Lader(n) mit Abgasführung, und aus Ladeluftkühler(n) mit aufwendiger Verschlauchung kostet mehr Bauraum, als durch den kleineren Hubraum eingespart wird.

 

Das Downsizing ist aber nicht allein verantwortlich für den Größenwahn. Einen wesentlichen Beitrag leisten die heutzutage unumgänglichen Breitreifen. Wieso das denn? Breitreifen verbessern die fahrdynamischen Eigenschaften, besonders in Verbindung mit einer möglichst breiten Spur. Kein Hersteller kann sich Schwächen bei der Fahrdynamik leisten, dafür sorgen schon die Tester in den einschlägigen Fachzeitschriften. Gnadenlos qualifizieren sie jeden ab, der bei den fahrdynamischen Tests ein paar Prozentpunkte hinter der Konkurrenz herfährt. Auch wenn es sich um profane Alltagslimousinen handelt.

 

Von Frontantriebsfahrzeugen ist man den gewaltigen vorderen Überhang schon gewohnt. Ob ein stimmiges Ganzes herauskommt, liegt am Geschick der Designer. Nicht jeder hat ein so glückliches Händchen wie Walter de Silva seinerzeit beim Alfa Romeo Typ 156. Was ist inzwischen daraus geworden? Ein Nasenbär! Anders kann man die neue Giulia nicht bezeichnen. ( http://www.alfaromeo.de/modelle/giulia ) Alfa schwenkte technisch und optisch auf den Mainstream ein. Der "Erfolg" in Form schwindender Verkaufszahlen ließ nicht lange auf sich warten.

 

Eine andere emotionale Marke kann ebenfalls als Musterbeispiel für modernes Design herhalten: Die Bayerischen Motorenwerke. Sie sind augenblicklich dabei, ihre Kerntugenden zu verraten: Reihensechszylinder-Saugmotor und Heckantrieb. Sie huldigen Frontantrieb, Downsizing und zu allem Überfluss dem Allradantrieb. Der E46, als letzter Dreier aus der Feder von Klaus Luthe, dient als Beleg für ein stimmiges, schnörkelloses Design. Unter der Regie von Burkart Goeschel und Chris Bangle ging´s bergab, mit dem traurigen Höhepunkt 4er-Gran Coupé.

( http://www.bmw.de/de/neufahrzeuge/4/gran-coupe/2014/start.html?bmw=YHUmhPfxqztiw0G1jmZkMESDDcoH3g ) Ähnlichkeiten mit der Giulia sind unverkennbar. Diese gewaltigen gebogenen Motorhauben sind anscheinend das Designmerkmal der Zehner-Jahre. BMW Dreier und Vierer sind das beste Beispiel, dass man es mit dem Größenwachstum von Modell zu Modell auch übertreiben kann. Der Normalkunde kann und will sich dieses große Fahrzeug nicht leisten, schon allein deshalb, weil es in der Normgarage nicht mehr Platz hat.

 

Aber auch andere wurden das Opfer der Nasenbärenoptik, sogar Jaguar. Von diesen hatten sich viele ein Design erhofft, das sich vom Einheitsbrei abhebt. ( http://www.jaguar.de/jaguar-modelle/xf/gallery.html ) Was geht in den Köpfen von Designern vor, wenn sie Fahrzeugen mit Standardantrieb eine derart frontbetonte Optik verpassen? Der optische Schwerpunkt sollte immer auf der angetriebenen Achse liegen, sodass die übermächtigen Vorderwägen den Fronttrieblern vorbehalten bleiben. Oder haben die Designer vielleicht gar keine Wahl? Austauschbare Motoren und Antriebskonzepte führen zwangsläufig zu ähnlichem, verwechselbarem Aussehen.

 

Die Crux mit Frontantrieb und Downsizing bekam auch Mercedes bei der neuen A-Klasse in voller Härte zu spüren. Sie schiebt eine gewaltige Schnauze vor sich her. Hier handelt es sich um Frontantrieb, insofern kann man beide Augen zudrücken oder sich mit Gr. wenden.

http://www.mercedes-benz.de/content/germany/mpc/mpc_germany_website/de/home_mpc/passengercars/home/new_cars/models/a-class/w176.html

 

Leider bleibt es nicht bei der Verschiebung der Proportionen. Der letzte Schrei ist eine völlig zerklüftete, martialisch gestaltete Frontpartie. Die Frontmänner des aggressiven Frontdesigns waren die Peugeot- und Audi-Leute. Peugeot nahm sein Single-Loch-Design wieder zurück, nachdem die Stückzahlen dramatisch eingebrochen waren. Audi nennt es Single-Frame-Design und führte es in alle Modelle ein. Der vorwiegend maskulinen Audi-Klientel gefällt das Aussehen. Audi konnte inzwischen BMW im Aggressions-Ranking erfolgreich von Platz Eins verdrängen - nicht zuletzt dank des Kühlergrills. Grillen war halt schon seit jeher Männersache. Kleiner Nebeneffekt des Einheitsgrills: Man kann die Audi Modelle kaum noch auseinanderhalten.

Audi tut sich verdammt schwer, dieses Design weiterzuentwickeln. Sie ergreifen die Flucht nach vorne, und gestalten den "Frame" dreidimensional. Oder wie die Audi-Designer es nennen "skulptural". Einen Vorgeschmack dessen, was da auf uns zukommt liefern sie mit dem geplanten A6 E-Tron. Ähnlichkeiten mit Lebewesen, die das Maul weit aufreißen, sind natürlich reiner Zufall und nicht beabsichtigt.

( http://www.autobild.de/artikel/audi-q6-studie-e-tron-quattro-concept-iaa-2015-vorstellung-3801524.html )

 

Ein ganz spezielles Völkchen scheinen die Gestalter von Toyota zu sein. Mut haben sie, das muss man ihnen lassen. Ästhetik ist ihnen nicht wichtig, Hauptsache unverwechselbar. Was Audi kann, können wir besser. Dieser Leitgedanke stand Pate beim Design des Toyota RX 450h. (Wie es scheint, machte sich Toyota intensiv Gedanken über die Wiederverwertung des Kühlergitters - als Käsereibe.)

( http://www.lexus.eu/car-models/rx/rx-450h/#Introduction ) Die hohe Messlatte des RX 450h an Hässlichkeit noch zu übertreffen, war eine schwierige Aufgabe für die Designer des Mirai. Sie bewältigten sie mit Bravour. ( https://www.toyota.de/news/details-2015-57.json )

 

Großflächige Frontpartien findet man leider auch in Sportfahrzeugen. Sogar in Mittelmotor- und Heckmotorvarianten. Den Anfang macht Porsche, obwohl, die hätten es eigentlich am wenigsten nötig. Oder doch? Der mächtige Vorbau bringt wenigstens etwas Gewicht nach vorne.

( http://www.autobild.de/artikel/porsche-911-991-facelift-iaa-2015-5616176.html ) Auch die direkten Wettbewerber verunstalten sich durch mächtige Kuchenbleche vor und zwischen den Vorderrädern. Z.B. Audi R8 oder Ferrari 488.

( http://www.audi.de/content/de/brand/de/neuwagen/r8/r8-coupe.html , http://www.autobild.de/bilder/ferrari-488-gtb-preis-5580471.html#bild2 )

 

Zum Schluss noch eines der traurigsten Kapitel aus der jüngsten Designwelt: Der Mini. Die BMW-Designer brachten es fertig, den Mini seines Charmes zu berauben. Der Witz des Mini bestand in den Rädern exakt in den vier Ecken des Wagens. Mini war geradezu ein Synonym für kurze Überhänge. Die Bilder treiben jedem Mini-Fan das Wasser in die Augen und die Zornesröte ins Gesicht.

 

 

Im Versuch, alles besser und immer noch besser zu machen, verschleuderten die BMW-Designer ihr kostbares Erbe. Pfui! Aber sind wirklich die Designer schuld am stilistischen Verbrechen? Waren es nicht vielmehr Marketing, Betriebswirtschaftler und Geschäftsleitung, die aus Kostengründen eine gemeinsame Antriebs-Plattform von Mini und Frontantriebs-BMWs beschlossen? Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Aus der erhofften Win-Win-Situation wird eine Loose-Loose-Geschichte, zumindest aus ästhetischer Sicht. Man kann für BMW nur hoffen, dass sich nach dem Elektro-Debakel nicht noch weitere Katastrophen ereignen.

 

Natürlich versteht man die Triebfeder hinter dem Hang zur Vereinheitlichung, dem Streben nach Baukästen und Plattformen. Dass mit dem Hang auch ein Verhängnis einhergehen kann, sieht man deutlich bei VW. Aber es geht auch anders. Typische Beispiele sind so gegensätzliche Naturen wie der neue Mazda MX-5 und der Ford Mustang. (Test in sportauto 10/2015) Das gibt Hoffnung., auch wenn sich manch einer von seiner liebgewordenen Marke lösen muss.

 

27.09.2015 Jacob Jacobson

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