BMW M235i Cabrio gegen Audi S3 Cabrio

Der Autokritiker

Jacob Jacobson

puristisch - kritisch - anregend

 

AutoBild testet BMW M235i Cabrio vs. Audi S3 Cabrio - Resultat:

Assistenzsysteme geben den Ausschlag.

 

Sportliche Cabrios sind ein Widerspruch in sich. Cabrios sind, bis auf wenige Ausnahmen, Limousinen ohne festes Dach. Ohne Dach verwindet sich die Karosserie wie eine Schuhschachtel ohne Deckel. Nur mit einer Menge Blech lässt sich das einigermaßen verhindern. Die Folge sind Mehrgewichte gegenüber dem Ausgangsprodukt von 100 bis 200 Kilogramm. Das wiederum geht zu Lasten der Sportlichkeit. Es verschlechtert die Fahrleistungen, erhöht den Verbrauch und den Preis. Unsere beiden Kontrahenten BMW M235i Cabrio und Audi S3 Cabrio bilden da keine Ausnahme. Zum Einstieg stellen wir erst einmal die jeweiligen Coupé-Varianten den Cabrios gegenüber.

 

Auf den ersten Blick sind die Differenzen gering. Allerdings kommt es in den höheren Leistungs-Sphären, in denen sich die beiden Fahrzeuge bewegen, genau darauf an. Tuningfirmen verdienen eine Menge Geld damit, die Beschleunigung von 0 bis 100 km/h um 0,2 Sekunden zu verbessern. Oder das Gewicht um ein paar wenige Kilogramm zu reduzieren. Eine Reduktion um 139 kg bzw. 195 kg ist schlicht unbezahlbar. Daher wählt der puristische Sportfahrer selbstverständlich das Coupé.

 

Warum bieten sowohl Audi als auch BMW ihre Sportfahrzeuge als Cabrio-Variante an? Sozusagen als Nische (Cabrio) in der Nische (S bzw. M)? Anscheinend gibt es genügend Käufer, denen es weniger um Sportlichkeit oder Cabrio-Feeling geht, sondern vielmehr um Prestige. Welche Motivation steckt hinter dem Kauf eines Cabrios in dieser Leistungsklasse? Echte Sportfahrer wählen das Coupé, und echte Cabrio-Fahrer (die soll es tatsächlich geben) brauchen zu ihrem Glück keine 300 PS. Ein Fahrzeug mit 131 PS für 23.000 € genügt für optimalen Cabrio-Spaß vollkommen. Die Rede ist vom Mazda MX-5, der in AutoBild vom17.07.2015 dem Audi TT und dem Alfa Romeo 4C die Schau stiehlt .

 

Warum aber vergleichen wir hier dann überhaupt an dieser Stelle die beiden Sport-Cabrios? Weil AutoBild vom 10.07.2015 exakt diesen Vergleich anstellt, aus welchen Gründen auch immer. Dabei ist dem Autokritiker etwas aufgefallen, etwas nicht Cabrio-spezifisches.

Worauf kommt es bei einem Sportfahrzeug an? Auf den Kofferraum, das Platzangebot hinten, auf Komfort, auf Touchscreen, Apps, Audioqualität und möglichst viele Assistenzsysteme? Eher nicht, meint der Purist. Oder kommt es an auf Fahrleistungen, Beherrschbarkeit im Grenzbereich, Agilität, Lenkpräzision, Motorsound, Spontaneität bei allen Fahreraktionen? Exakt!

 

AutoBild bewertet die Fahrzeuge immer nach einem festen Schema. Egal ob Cabrio, Sportfahrzeug, Familienkutsche oder SUV, egal ob groß ob klein, ob billig ob teuer, über alle Fahrzeugtypen und -modelle stülpen sie das ewig gleiche Bewertungsschema. Woran kann es nur liegen, dass der Audi unterm Strich mit sechs Punkten Vorsprung gewinnt? An den technischen Daten jedenfalls nicht. Wir müssen uns die Punktevergabe im Einzelnen genauer anschauen, wobei wir auf den Kostenvergleich wegen Irrelevanz verzichten. Wit vergleichen nur die Unterschiede.

 

AutoBild zieht aus diesem Ergebnis den Schluss:

"Der BMW begeistert, der Audi ist das bessere Auto."

Da muss man sich doch fragen, ob mit dieser Wertetabelle noch alles in Ordnung ist. Werden vielleicht Aspekte von Alltagslimousinen überbewertet? Werden sportliche Qualitäten unterbewertet? Werden emotionale Kriterien überhaupt nicht bewertet? Bereinigt man die Tabelle von allen Kriterien, die auf das sportliche Fahren keinen Einfluss haben, ergibt sich folgendes Bild:

 

Bei dieser sportlich orientierten Tabelle zieht Audi den Kürzeren. Den größten Punktabzug (7 Punkte!) erleidet der Audi bei den Assistenzsystemen. Es muss sich um wichtige, fast unabdingbare Funktionen handeln, anders lässt sich diese massive Differenz nicht erklären. Leider gehen die Journalisten im Text mit keiner Silbe auf diese kriegsentscheidenden Funktionen ein.

Nach Buchhalter-Kriterien gewinnt also der Audi mit 6 Punkten Vorsprung, nach Sportfahrer-Kriterien der BMW mit 6 Punkten. Sollte nicht AutoBild sein Bewertungsschema auf den jeweiligen Anwendungsfall anpassen? In diesem Fall müssten sie die sportlichen Kriterien aufwerten, die Alltagskriterien in der Wertigkeit zurücknehmen.

Den Journalisten von AutoBild ist anscheinend selbst nicht ganz wohl beim Ausgang der Geschichte, sonst würden sie die Tests nicht noch rasch durch eine Tabelle, genannt "Lustfaktor" ergänzen:

 

Aber nicht einmal hier trauen sie sich, ein Kriterium "Fahrspaß" einzuführen. Lediglich verbal schwärmen sie von den begeisternden Eigenschaften des BMW, mit seinem überragenden Reihensechszylinder und dem für sportlich ambitionierte Fahrer perfekt abgestimmten Heckantrieb. Wundert sich da noch jemand, dass sich die Fahrzeuge immer ähnlicher werden. Warum wohl sollte BMW beim Heckantrieb bleiben, wenn es dafür keine Pluspunkte sondern höchstens Minuspunkte gibt? Warum sollten sie den teuren Sechszylindermotor hegen und pflegen, wenn sich für begeisterndes Laufverhalten und inspirierenden Sound niemand mehr interessiert? Mercedes hat die Signale erkannt, und die alte A-Klasse durch ein Fahrzeug ersetzt, das auf diese (Golf-)Bewertungsmatrix abgestimmt ist. Und der Erfolg gibt ihnen recht. BMW ist bereits auf dem besten Weg, sich von allen hinderlichen Charaktermerkmalen zu verabschieden (Heckantrieb, Reihensechszylinder).

 

Die Herren Journalisten beklagen selbst, dass den Fahrzeugen von heute der individuelle Charakter fehlt. Andererseits bestrafen sie jeden zaghaften Versuch, aus dem Mainstream auszubrechen mit Punktabzug. Bis sich nur noch Golfs und Golf-Imitate auf den Straßen tummeln. Sie sollten ernsthaft darüber nachdenken, ob das die Richtung ist, in die sie die automobile Welt steuern wollen. Und ob es für sie nicht auch an der Zeit wäre, aus dem öden Journalistenalltag auszubrechen, mit der ewigen Priorisierung von Kniefreiheit auf der Rückbank und Kofferraumvolumen. Aber dazu gehörte eine gehörige Portion Mut. Ein Mut, der den Hauptsponsor der deutschen Autozeitschriften, den VW-Konzern, evtl. ärgern könnte.

 

 

07.08.2015 Jacob Jacobson

Hier ist Platz für Ihre

 

  • Fragen

 

  • Meinungen

 

  • Kritiken

 

  • Anregungen

 

  • Korrekturen

 

  • Hinweise

 

  • ..........