BMW M3 E46 vs. M235i - ein fairer Vergleich?

Der Autokritiker

Jacob Jacobson

puristisch - kritisch - anregend

BMW M3 E46 vs. M 235i - ein fairer Vergleich?

 

 

Eines gleich vorneweg - der M 235i ist ein begeisterndes Auto. Ein waschechter BMW, vielleicht sogar der einzige ECHTE BMW in der ganzen, riesigen Modellpalette. Der folgende Text will keinesfalls dieses Fahrzeug herabwürdigen. Es geht um Folgendes: Die Diskette aus AutoBild Nr. 39/2014 enthält einen Vergleich der beiden Sportskanonen M3 E46 und M 235i auf der Rennstrecke, dem Contidrom. Diesen Vergleich gewinnt der M 235i. Nicht knapp, sondern mit großem Vorsprung vor dem M3 von 2001.

 

Vier Sekunden - das sind Welten. Für den M3 eine bittere Niederlage, fast schon eine Demütigung. Wie konnte das passieren? Da ist doch irgendetwas oberf… verdächtig. Läuft es tatsächlich auf eine Konfrontation Saugprinzip gegen Abgasturboaufladung hinaus? Oder spielen noch andere Faktoren eine Rolle? Wer weiß?

Schau 'n mer mal ob es gelingt, den Saugmotor zu rehabilitieren - und die Welt für Auto-Puristen wieder in Ordnung zu bringen. Zumindest ein bisschen.

 

Die technischen Daten:

Beginnen wir mit den technischen Daten. Zur besseren Einschätzung runden wir den Vergleich ab: Nach oben mit dem M3 CSL, nach unten mit dem 1er M Coupé.

 

 

Kann man aus den technischen Daten nennenswerte Unterschiede herauszufiltern? Ja, man kann!

 

Das Leergewicht:

80 Kilogramm ist der M 235i leichter als der M3. Woran das liegt? Wohl kaum am Motor, denn Turbolader und Ladeluftkühler bringen zusätzliche Kilos auf die Waage. Eher an der Karosserie. Die Grundkarosserie des E46 geht zurück auf das Jahr 1998. In den 16 Jahren bis zum 2er Coupé hat sich im Leichtbau einiges getan, an Material und Formgebung. Dafür spricht auch die Differenz von 58 Kilogramm zwischen M 235i und 1er M Coupé. Die Basis des 1er M Coupés ist auch nicht mehr taufrisch. Sie geht immerhin zurück auf das Jahr 2004.

 

Der Motor:

Kommen wir zum Kernpunkt, dem Motor. Hochdrehzahlkonzept vs. Aufladung, was heißt das konkret. Der Unterschied offenbart sich in den Leistungs- und Drehmomentkurven.

 

 

 

Die Drehmomentkurve des M 235i (dunkelrot) ist typisch für einen aufgeladenen Motor. Ebenso typisch ist die Kurve des M3 - für einen leistungsfähigen Saugmotor (dunkelblau). In der Praxis zieht der M 235i bereits ab 2.000 U/min tüchtig durch. Beim M3 tut sich unterhalb von 4.000 Umdrehungen recht wenig. Der schnelle Sprint aus dem Stand ist nicht seine Stärke. Auf der Rennstrecke zählen andere Kriterien, vor allem eine hohe Leistung über einen breiten Drehzahlbereich. Da sieht der M3 gar nicht mal so schlecht aus. Es sei denn, die Strecke enthält enge Kurven - wie z.B. der Handlingkurs auf dem Contidrom. Enge Kurven machen dem M3 beim Herausbeschleunigen zu schaffen. Der M 235i ist da leichter zu beherrschen. Er lässt sich schaltfauler fahren, und trotzdem geschmeidig und druckvoll aus niedriger Geschwindigkeit beschleunigen. Auch im Rennsport kommt es eben nicht nur auf die reine Leistung an, sondern mindestens genauso sehr auf die Fahrbarkeit.

 

Das Fahrwerk:

Je größer Radstand und Spurweite, desto niedriger die dynamischen Radlastverlagerungen beim Bremsen, Beschleunigen und in der Kurve, und desto besser das Fahrverhalten im Grenzbereich. Keiner der vier Kontrahenten gibt sich diesbezüglich eine Blöße.

Achsgeometrie und Elastokinematik sind wichtig für ein neutrales Fahrverhalten. Leider entziehen sie sich unserer Beurteilung. Sicher ist aber, dass 14 Jahre Entwicklungszeit ihre positiven Spuren hinterlassen.

 

Die Reifen:

14 Jahre Entwicklungszeit gehen auch an den Reifen nicht spurlos vorüber - im Gegenteil. Gerade auf dem Gebiet der "Schwarzen Magie" gab und gibt es die größten Entwicklungssprünge. Besonders eindrucksvoll zeigt sich das in den Bremswegen. ams und AutoBild messen seit Jahrzehnten den "Bremsweg warm" - nach immer der gleichen Methode. Den Bremsweg dabei bestimmt (fast) ausschließlich der Reifen. (Mehr dazu in einem späteren Beitrag.) Vor 20 Jahren waren Bremswege um die 40 Meter bei Alltagslimousinen noch in Ordnung. Heute liegt ein guter Bremsweg bei 35 Metern. Leider existiert noch kein direkter Bremswegvergleich.

Was für die Bremswege gilt, gilt auch für die Querbeschleunigung; vielleicht sogar noch stärker. Griffigere Gummimischung und verbesserter Unterbau kommen der Bremse und dem Kurvenverhalten gleichermaßen zugute.

Reifen altern. Besonders schnell und stark altern Rennreifen mit ihrem hohen Anteil an Weichmachern. Wie alt waren die Reifen auf dem M3? Hoffentlich nicht 13 Jahre! Aber selbst ein Alter von drei bis vier Jahren wirkt sich schon spürbar aus.

 

Die Feinabstimmung:

Im Video deutlich zu sehen ist das Übersteuern des M3 beim heftigen Beschleunigen in der Kurve. Das Übersteuern selbst und der Schlenker beim Abfangen kosten Zeit. Dagegen fährt der M 235i wie auf Schienen, nicht zuletzt wegen eines hervorragend auf die Rennstrecke abgestimmten ESP (bei BMW DSC genannt).

 

Die Fahrleistungen:

Leider wurde der M 235i noch nicht von sport auto über Hockenheim und Nürburgring gescheucht. Erst dann kann man ihn sportlich in die Hierarchie der M-Fahrzeuge einordnen. Wir versuchen auf dem Umweg über M3 CSL und 1er M Coupé eine - etwas gewagte - Einschätzung. Auf dem Hockenheimring ist der M3 CSL exakt vier Sekunden schneller als der M3. Das könnte mit den vier Sekunden des Contidroms korrelieren. Das 1er M Coupé ist um 3,5 Sekunden schneller. Warum sollte der M 235i langsamer sein? Folgende Tabelle zeigt die Messwerte - soweit vorhanden.

 

 

Resümee:

Fassen wir die entscheidenden Unterschiede stichpunktartig zusammen:

  • Karosserie: Leergewicht
  • Motor: Drehmomentverlauf und Driveability
  • Reifen: Fabrikat, Technologie und Alter
  • Feinabstimmung: Fahrwerk und Regelsysteme

 

M3-Update - so könnte es gehen:

Was müsste man tun, um mit dem M3 dem M235i Paroli bieten zu können? Wahrscheinlich würde es reichen, Leergewicht, Reifen und Feinabstimmung auf den neuesten Stand der Technik zu bringen. Um auf Nummer sicher zu gehen, muss man auch den Motor anfassen. Kann das ohne Aufladung gelingen? Die Spitzenleistung anzuheben ist sicherlich der falsche Weg. Wir brauchen einen deutlich verbesserten Drehmomentverlauf.

14 Jahre Weiterentwicklung der Verbrennungsmotoren brachten erhebliche Fortschritte - nicht nur das viel strapazierte Downsizing. Sie betreffen Einspritztechnik, Reibung, Brennraumgestaltung, Ventile, Nockenwellen und Steuerzeiten. Von diesen Fortschritten profitierten ausschließlich die Turbomotoren. Wie würde der Saugmotor des M3 mit all diesen Verbesserungen aussehen? Schwer zu sagen. Sicher ist, dass die Kluft zwischen Sauger und Turbo erheblich schrumpfen, vielleicht sogar verschwinden würde.

Sollten wirklich alle Stricke reißen, kann man immer noch zur Brachialmethode schreiten, die da heißt: Hubraum! Wir vergrößern den Hubraum auf 3,9 Liter. Also Upsizing statt Downsizing lautet die Devise. Die zusätzlichen Kubikzentimeter verwenden wir nur zur Verbesserung des Drehmomentes. Die Drehmoment- und Leistungskennlinien könnten dann folgendermaßen aussehen:

 

 

Allerdings verlassen wir jetzt den BMW Baukasten. Alle BMW-Dreilitermotoren haben identische Bohrungen und Hübe, egal ob Diesel oder Benziner, und egal welche Leistungsstufe. Ein komplett neuer Motor und eine neue Fertigungslinie müssten her. Solche Flausen würden uns die Kostenwächter bei BMW ganz schnell austreiben. Außerdem stehen wir dann mit dem Rücken zur Wand. Mehr Hubraum aus sechs Zylindern macht keinen Sinn. Was ist, wenn der M235i einfach an der Turboschraube dreht? Genau dies wird der kommende M2 tun. Wie man es auch dreht und wendet, es sieht ganz so aus, als würden die Freunde des Saugmotors verlieren. Aber HALT! Einen Trumpf haben wir noch im Ärmel.

 

Temporäres Boosten:

Wann brauchen wir auf Rennstecken wie dem Contidrom, Nürburgring oder Hockenheim die volle Leistung? Fast ausschließlich zum Beschleunigen. Höchstgeschwindigkeit spielt selbst auf der Nürburgring-Nordschleife kaum eine Rolle. Diesen Umstand könnte man nutzen, und dem Motor einen Lader spendieren, der nur in der Beschleunigungsphase wirkt. Z.B. einen elektromechanischen Kompressor. In allen anderen Fahrzuständen läuft der Motor als ganz normaler Sauger - außerhalb der Rennstrecke zu 95 Prozent. Dieser Kompressor könnte genau die Lücke zwischen dem M3 und dem M 235i schließen. Und bei Bedarf auch zum kommenden M2.

Weitere Vorteile dieses Konzepts: Der Motor klingt wie ein Sauger. Er reagiert wie ein Sauger. Ein eindeutiger Punktsieg bei den vielbeschworenen Emotionen.

Was spricht gegen dieses Konzept? Temporäres Boosten steigert nicht die Höchstgeschwindigkeit - für viele (ewig gestrige) Stammtischler immer noch ein wichtiges Kriterium. Außerdem ist es nicht ganz billig, obwohl der Turbolader wegfällt. Aber der elektrische Kompressor benötigt eine 48 Volt Stromversorgung.

 

Die Kosten:

Einer unangenehmen Wahrheit müssen wir uns noch stellen. Wieso ist der M235i so unverschämt preisgünstig? Das liegt am bereits erwähnten Motorbaukasten. Von einem einzigen Grundmotor ausgehend sind verschiedene Leistungsstufen rein durch Software möglich - theoretisch. In der Praxis ist natürlich auch die Hardware an die Leistung anzupassen.

 

Ausblick:

Das Ende des Saugmotors ist nahe. Lediglich großvolumige Aggregate wie im Ford Mustang können sich noch halten - mit der Betonung auf noch. Außer es geschieht ein Wunder in Form der temporären Aufladung - falls ein Hersteller das Potential erkennt. Und sich damit abhebt von der unüberschaubaren Menge an austauschbaren, bis zum Überdruss downgesizeten Motoren mit Abgasturboladern. Ob wir das noch erleben dürfen? Da heißt es ganz fest die Daumen drücken.

 

 

Jacob Jacobson 01.06.2015

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